• Sonuç bulunamadı

An dieser Stelle meines Vortrags möchte ich Ihnen einen Überblick über typische Tarifmaterien geben und gleichzeitig auch Grenzen der

tarifvertraglichen Regelungsmacht aufzeigen. Die Regelungsmacht ergibt sich hier übrigens mittelbar aus Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Das Bundesverfassungsgericht, das höchste deutsche Gericht, hat den Grundsatz formuliert, dass einer tarifvertraglichen Regelung zugänglich sind (Zitat) „Regelungen von Leistungen und Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis und solcher Fragen, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen“(Zitatende).

Typische Themen in diesem Sinne sind die Arbeitsvergütung, die Arbeitszeit, die „allgemeinen“ Arbeitsbedingungen sowie Themen wie Qualifizierung, Rationalisierungsschutz und Besetzung von Arbeits-plätzen.

Nicht regelbar durch Tarifvertrag ist z.B. eine Änderung der bestehenden Behörden- und Verwaltungsorganisation, nach herrschender Meinung auch nicht die Einschränkung von Maschinenlaufzeiten durch Verkürzung von Arbeitszeiten. Ebenso wenig zulässig ist der tarifvertragliche Eingriff

Erweiterung der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten unzulässig, die Organisation der Betriebsverfassung ist nur im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Öffnungsklausel zulässig. Nicht zulässig sind darüber hinaus tarifvertragliche Eingriffe in das Privatleben, etwa durch verpflichtende Teilnahme an einem tarifvertraglich festgelegten Bildungsurlaub in der Freizeit.

Meine Damen und Herren, wenden wir uns nun etwas intensiver den

„klassischen“ Tarifmaterien zu: Auffällig ist, dass die Tarifwerke z. B. der Metall- und Elektroindustrie oder der chemischen Industrie von ihrem Umfang her stattliches Buchformat haben. Die Tarifthemen sind also häufig nicht in einem, sondern in mehreren Tarifverträgen geregelt. Das hat sowohl historische als auch thematische und verhandlungstaktische Gründe. Zwar finden sich in reinen Entgelttarifverträgen vorrangig Vergütungsregelungen. Daneben gibt es Entgeltrahmentarifverträge, aus denen sich die Eingruppierungsmerkmale für die tarifierten Tätigkeiten herleiten lassen. Mantel- bzw. Rahmentarifverträge sind mit Regeln rund um den Beginn, den Verlauf und Inhalt sowie das Ende von Arbeits-verhältnissen bestückt. Darüber hinaus gibt es Tarifverträge über Einzelthemen, die aus verschiedenen Gründen in eine eigenständige Regelung gebracht wurden. So z. B. Tarifverträge über vermögens-wirksame Leistungen, Qualifizierung, Beschäftigungssicherung, Sonder-zahlungen, etc. Dabei sind Verweisungen zwischen den Tarifverträgen, z.B. bei identischem Geltungsbereich oder zur Modifikation bereits bestehender Tarifregelungen, durchaus üblich. Wesentliche Gründe für eine separate Regelung liegen in der unterschiedlichen Laufzeit (Ent-gelttarifverträge haben in der Regel kürzere Laufzeiten, Mantel- und Rahmentarifverträge und Sonderthemen häufig deutlich längere) und in ihrem strategischen Zustandekommen. Nicht selten werden Tarifthemen bei ungekündigtem Fortbestand eines vorhandenen Tarifvertrages ver-handelt. Wenn man also dort Ergänzungen anbringen will, könnte dies als Ergänzungstarifvertrag geschehen. Je nach Thema und Ver-handlungssituation macht es jedoch Sinn, die Neuregelung in einen gesonderten Tarifvertrag einzubringen, der z.B. nur eine kurze Laufzeit hat, weil er befristete Sonderregelungen vorsieht. Oder es erscheint einfach tarifpolitisch nicht „opportun“, einen bestehenden Tarifvertrag als austarierten Kompromiss nachträglich aufzuschnüren. So wurden in den Krisenjahren 2009 und 2010 befristete Abweichungen von bestehenden

Kurzarbeitsregelungen der Metall- und Elektroindustrie in einem sepa-raten Tarifvertrag geregelt.

Eine Besonderheit der Tarifvertragsgestaltung ist die inhaltsgleiche oder -ähnliche Übernahme von Gesetzesregelungen. So hat die Metall- und Elektroindustrie vor vielen Jahren die damaligen Regelungen zu den Kündigungsfristen bei Arbeitsverträgen inhaltsgleich aus dem Bürger-lichen Gesetzbuch übernommen. Anders die chemische Industrie: Hier wurde eine deutlich vom Gesetzeswortlaut abweichende Regelung getroffen. Beim Thema Entgeltfortzahlung in Krankheitsfall wurde die Frage relevant, als der Gesetzgeber vorübergehend die Zahlungspflicht der Arbeitgeber von 100 % auf 80 % herabsetzte. Man unterscheidet bloß deklaratorische oder konstitutive Übernahmen gesetzlicher Bestimmungen. Eine bloß deklaratorische Regelung nimmt jede gesetz-liche Änderung automatisch mit, eine konstitutive Regelung bleibt auch bei einer Gesetzesänderung zunächst unverändert bestehen, bis sie durch einen Änderungstarifvertrag ersetzt wird. Welche Form jeweils vorliegt, ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln.

4. Wir kommen deshalb zum nächsten Themenblock bei der Inhalts-gestaltung von Tarifverträgen. Diese sind, meine Damen und Herren, das Ergebnis eines Interessenkonflikts, der im Wege des Kompromisses beigelegt wurde. Es kommt deshalb vor, dass bei der Tarifanwendung in den Unternehmen Auslegungs- und Streitfragen zu klären sind. An dieser Stelle offenbart sich ein wesentlicher weiterer Unterschied zum Parlamentsgesetz: Eine Inhaltskontrolle von Parlamentsgesetzen findet nach den Vorschriften des Grundgesetzes über das Bundesver-fassungsgericht statt, bei Tarifverträgen ist demgegenüber die Arbeits-gerichtsbarkeit zuständig. Dies geschieht in der Regel im Zusammenhang mit der Individualklage eines Arbeitnehmers, der tarifvertragliche Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber einklagt. Sofern die Auslegung des Tarifvertrages erforderlich wird, etwa weil dessen Wortlaut lückenhaft oder nicht eindeutig ist, gilt folgende Rangfolge von Auslegungs-grundsätzen:

Auszugehen ist vom Wortlaut der Tarifnorm. Hierbei ist grundsätzlich der allgemeine Sprachgebrauch eines Wortes zugrunde zu legen. Im Einzelfall kann auch die eventuell vorzufindende eigenständige Begriffsdefinition

des Tarifvertrags eine Rolle spielen. Diese Wortlautinterpretation erfolgt typischerweise vom Zeitpunkt des Entstehens des Tarifvertrages.

Führt die Wortlautauslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, ist der Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages in die Auslegung einzube-ziehen. Hier bietet sich an, etwa nach einer Begriffskonsistenz zu forschen oder der Frage nachzugehen, ob der tarifliche Gesamtzusammenhang hinsichtlich der streitbefangenen Materie etwa ein Regel-/Ausnahme-Prinzip oder ähnliches aufstellt. Auch können ggfs. andere Tarifverträge derselben Branche, sofern von denselben Tarifvertragsparteien stammend, ergänzend herangezogen werden.

Führt auch diese Auslegungsmethode nicht zu eindeutigen Ergebnissen, orientiert sich das Gericht an der tariflichen Zwecksetzung, also an den mutmaßlichen Vorstellungen der Tarifvertragsparteien bei Abschluss des Tarifvertrages. Herangezogen werden dabei evtl. vorhandene Protokoll-notizen oder – was sehr selten ist – evtl. vorhandene Protokolle über Tarifverhandlungen. Im Zweifel empfiehlt sich die nach der Prozess-ordnung zulässige Einholung einer Auskunft beider Tarifvertragsparteien (die übrigens durchaus divergierend, aber auch übereinstimmend sein kann!).

Führt auch diese dritte Auslegungsmethode nicht zum Erfolg, kann die Tarifgeschichte (also sämtliche Vorläuferregelungen), die Tarifübung (eine evtl. gleichbleibende ständige Anwendung in Kenntnis und mit Billigung beider Tarifvertragsparteien) und zu allerletzt die Zweckorientierung einer Tarifregelung, also deren „vernünftige gerechte und praktisch brauchbare“ Anwendung, eine Rolle spielen. Und schließ-lich haben die Arbeitsgerichte eine Tarifvertragsnorm so zu interpretieren, dass sie im Zweifel nicht gegen höherrangiges Gesetzes- oder Verfassungsrecht verstößt.

Ein Meinungsstreit betrifft die Frage, ob die Gerichtsbarkeit bei fest-gestellten Lücken im Tarifvertrag befugt ist, diese eigenständig durch Richterrecht zu schließen. Während eine Meinung die richterliche Rechtsfortbildung strikt ablehnt unter Hinweis auf Tarifautonomie und mangelnde Legitimation der Gerichte, befürwortet die andere die Rechtsfortbildung aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips und des Verbots der Rechtsverweigerung. In der Praxis dürfte sich die Fragestellung dahin

konkretisieren, ob es sich wirklich um die Neuschaffung eines bislang nicht geregelten Tatbestandes (im Sinne einer echten Ergänzung oder Abänderung) oder um ein schlichtes „Weiterdenken“ des tarifvertraglichen Sinngehalts handelt. Ich räume ein, dass im Einzelfall die Grenzen hier durchaus fließend sein können.

Zum nächsten Punkt:

5. Der Tarifvertrag kann gesetzliche Regelungen modifizieren. Ohne