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Meine Damen und Herren, bis die Tinte unter dem Tarifvertragstext trocken ist und die Akteure – zumeist mit Ringen unter den Augen und

Bsp 3: Die Zeitarbeit und die Befristung von Arbeitsverträgen sind personalpolitische Dauerthemen. Die Unternehmen schätzen

C. Meine Damen und Herren, bis die Tinte unter dem Tarifvertragstext trocken ist und die Akteure – zumeist mit Ringen unter den Augen und

nach einer durchverhandelten Nacht - vor die Presse treten, ist auf beiden Seiten des Verhandlungstisches eine Menge geschehen. Was im allgemeinen Sprachgebrauch mit „Tarifrunde“ umschrieben wird, ist des-halb keineswegs nur die reine Tarifverhandlung. Szenarien vor und wäh-rend der eigentlichen Verhandlungen sind – jedenfalls für die jeweiligen Organisationen, und manchmal auch für die Öffentlichkeit – mindestens genauso wichtig (und manchmal durchaus spannend!).

Ich möchte Ihnen die beiden Phasen vor und während der eigentlichen Tarifverhandlungen kurz inhaltlich näherbringen.

1. Phase: Verhandlungsvorbereitung

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die vereinbarte Tariflaufzeit in voller Länge mit Untätigkeit „genutzt“ würde. Zwar herrscht, wie gesagt, Friedenspflicht, jedoch nutzen beide Lager die Phase etwa drei bis sechs Monate vor dem vereinbarten Laufzeitende, um in ihren eigenen Organisationen - und mit jeweils zunehmender Tendenz auch öffentlich - Positionen zu diskutieren und zu veröffentlichen. Das hat damit zu tun, dass Tarifverhandlungen typischerweise Verteilungskämpfe sind, wo zu Beginn in der Regel weit auseinanderliegende Positionen aufeinander-prallen. Dies bedingt speziell bei den Gewerkschaften die Notwendigkeit der Mobilisierung der eigenen Mitglieder, was bei einer Massenorganisa-tion eines entsprechenden Vorlaufs bedarf. Eine große Rolle in dieser Vorbereitungsphase spielen veröffentlichte Unternehmensdaten und selbstverständlich auch Daten der amtlichen Wirtschaftsstatistik. Aus Arbeitgebersicht ist „gute Konjunktur“ eher ungünstig für moderate Tarif-abschlüsse, da Forderungen und Erwartungshorizont im Arbeitnehmer-lager entsprechend hoch sind. In jüngerer Vergangenheit ist bedauer-licherweise ein Trend zu beobachten, dass sich Spitzenpolitiker öffentlich über anstehende Tarifrunden und deren Ergebnisse äußern –vorrangig aus populistischen Motiven und häufig in der Nähe von Wahlen. Dem ist leider – bis auf die obligatorische Zurückweisung dieser Einmischung in

Tarifrunde 2011 der chemischen Industrie, in deren Vorfeld sich Spitzenpolitiker aller Parteien für „kräftige“ Entgelterhöhungen ausge-sprochen hatten. Dies und die sich geradezu überschlagenden Meldungen über „Rekordergebnisse“ von Großunternehmen erhöhten den Druck auf die Arbeitgeberseite. Das Ergebnis ist bekannt: Nach Jahren der Tarifzurückhaltung musste eine Tabellenerhöhung von 4,1 % akzeptiert werden, die nur aufgrund ihrer zusätzlichen Gestaltungselemente in der Breite der zumeist mittelständisch geprägten Mitgliedschaft akzeptiert wurde.

Aber zurück zur Vorbereitungsphase:

Aus den Rückmeldungen der gewerkschaftlichen Vertrauensleute in den Betrieben und durch die Aufnahme gesellschaftspolitischer Strömungen formuliert die Gewerkschaft ihre Tarifziele und – davon abgeleitet – ihre Tarifforderungen für die kommende Tarifrunde. Dies kann eine reine Entgeltforderung sein oder auch eine Kombination von Entgeltforderung mit sogenannten qualitativen Elementen (z.B. Arbeitszeitverkürzung, Erhöhung des Erholungsurlaubs, Qualifizierungsansprüche, Vorruhestand etc.). Bei Entgeltrunden wird häufig eine bezifferte Entgeltforderung gestellt, zwingend ist das freilich nicht: In der chemischen Industrie ist die Gewerkschaft mehrfach ohne bezifferte Entgeltforderung in die Verhandlungen gegangen, im Krisenjahr 2009 hat selbst die ansonsten

„bezifferungsorientierte“ IG Metall auf eine bezifferte Forderung verzichtet. Forderungen können sowohl Änderungen bei bestehenden Tarifverträgen oder völlig neue Tarifmaterien betreffen.

In der deutschen Tariflandschaft eher selten ist ein Kündigungs- und Forderungsszenario durch die Arbeitgeberseite. Dies lässt sich – in der hier gebotenen Kürze – nur durch einen doppelten Historienblick erklären:

Tarifverträge sollen Mindestarbeitsbedingungen regeln. Angesichts der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft mit den weitaus differenzierteren Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen empfanden immer mehr Arbeitgeber die bislang starren Tarifregelungen als Höchstarbeitsbedingungen, die es zu lockern oder sogar abzuschaffen galt. So begann speziell in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgrund der schwindenden Verbandsmitgliedschaft eine Öffnung dieser Regelungen. Allerdings war der Weg dorthin von Branche zu Branche und von Gewerkschaft zu Gewerkschaft durchaus unterschiedlich:

Während eine Branche mit starker Sozialpartnerschaft wie die chemische Industrie diesen Weg ohne arbeitgeberseitige Tarifvertragskündigung (nicht selten sogar bei ungekündigtem Tarifvertrag) gehen konnte, bedurfte es z.B. in der Druckindustrie und in der Verpackungsindustrie mehrfach formeller Kündigungen der Manteltarifverträge durch die Arbeitgeberseite, um Veränderungen durchzusetzen. Aktuell verhandelt die Druckindustrie über die Abschaffung der bislang starren Arbeits-platzbesetzungsregelungen und über neue Helferlöhne, und zwar u.a.

aufgrund einer arbeitgeberseitigen Kündigung des Manteltarifvertrages.

2. Phase: Verhandlungsphase

Hat (wie im Regelfall) die Gewerkschaftsseite ihre Forderung(en) präsentiert und veröffentlicht und die Arbeitgeberseite dies medien-wirksam aus wirtschaftlichen Gründen abgelehnt, beginnt der eigentliche Verhandlungsprozess.

Dabei unterscheiden wir – grob eingeteilt – parallel laufende Ver-handlungsrunden auf Landesebene mit bundeseinheitlicher Hintergrund-koordinierung durch die Bundesorganisationen (Bsp: Metall- und Elektroindustrie), regional integrierte Bundesrunden (mit vorgeschalteten Landesverhandlungen und anschließender koordinierter Bundesrunde (Chemische Industrie) oder reine Bundesrunden (z. B. Verpackungs- und Druckindustrie). Die Verhandlungsfrequenz kann dabei zwischen sehr hoch (Metallindustrie: bis zu 50 Termine bundesweit!) und niedrig (3-4 Termine in der Druckindustrie) liegen.

Aus Sicht der Arbeitgeber (aber sicherlich erst recht aus Gewerkschafts-sicht) bedarf jede Art von Verhandlungsszenario einer – mehr oder weniger nach Außen sichtbaren – internen Koordination. Denn: Tarifver-handlungen sind Bewährungsproben für die Solidarität innerhalb der Mit-gliedschaft. Und, meine Damen und Herren, ein wesentliches Merkmal unserer Gesellschaft der jüngeren Vergangenheit ist leider die Entsolida-risierung des Individuums! Dieses Faktum führt zu einem schwächeren Bindungsgrad sowohl bei den Gewerkschaften (diese haben seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 zwischen 25 und 40 % ihrer Mitglieder verloren) als auch bei den Arbeitgeberverbänden (z. B.

deutlich schwächere Tarifbindung in den neuen Bundesländern, Trend zu

im Vorfeld als auch begleitend zu den Tarifverhandlungen Meinungen zu bilden, zu bündeln und zu diskutieren und während des Verhandlungsprozesses das eigene Lager möglichst geschlossen hinter sich zu halten. Regelmäßige Kommunikation nach innen über den Verhandlungsstand, über mögliche Optionen und je nach Schärfe der Auseinandersetzung auch regelrechte Durchhalteappelle sind also not-wendiges Begleitkonzert des eigentlichen Verhandlungsprozesses. Auf Gewerkschaftsseite ist naturgemäß die Mobilisierung der Mitglieder in den Betrieben und ggfs. auf der Straße ein Ritual jeder Tarifrunde. Das dient sowohl der Mitgliederbindung als auch der Gewinnung neuer Mit-glieder. Ein Ausbrechen Einzelner aus der „Solidaritätsfront“ ist – erst recht bei namhaften Unternehmen – unter allen Umständen zu vermeiden, auch und gerade bei laufenden Arbeitskampfmaßnahmen.

In den Tarifverhandlungen selbst geht es in einer ersten Phase typi-scherweise um die Diskussion der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Gesamtwirtschaft und speziell der Branche anhand von amtlichen Wirtschaftsdaten und ggfs. Mitgliederumfragen. Dabei fällt auf, dass in der Regel dieselben Wirtschaftsdaten von beiden Lagern unterschiedlich interpretiert werden. Dies der Öffentlichkeit zu vermitteln, gehört zu den Kunststücken einer verhandlungsbegleitenden Medienarbeit.

In der weiteren Phase der Verhandlungen werden die Themen der Tarif-runde, hergeleitet aus den auf dem Tisch liegenden Forderungen, im Einzelnen abgehandelt, wobei beide Seiten ihre Positionen hierzu vertreten. Typischerweise finden Verhandlungen zu Beginn in großen Kommissionen (bis zu 40 oder 50 Teilnehmer auf jeder Seite) statt, im weiteren Verhandlungsverlauf wird die Personenzahl dieser Kommissio-nen sodann deutlich reduziert (zunächst auf kleine KommissioKommissio-nen von jeweils 10 oder 20 Personen, dann zuletzt das Vier- oder Achtaugen-Prinzip). Es bedarf keiner näheren Begründung, dass und warum es nur in einem sehr kleinen Kreis letztlich gelingen kann, das jeweils Machbare auszuloten und zu einem Ergebnis zu kommen!

Je kleiner die Verhandlungskommission, desto wichtiger die regelmäßige Rückkoppelung von Zwischenergebnissen in die eigenen Verhandlungs-reihen. Aus den nicht in den kleinen Kommissionen vertretenen Mit-gliedern der ursprünglichen großen Kommission wird die sog. „Hinter-grundkommission“ gebildet, die laufend informiert wird und von der sich

der Verhandlungsführer die notwendige Rückendeckung und Akzeptanz für den weiteren Verhandlungsprozess holt.

Ob es schlussendlich zu einem Ergebnis in freien Verhandlungen oder erst nach Arbeitskampfmaßnahmen oder sogar zu einem Ergebnis nach Schlichtung kommt, ist zumeist branchen- (und gewerkschafts-) abhängig.

In der deutschen chemischen Industrie fand aufgrund der besonderen Vertrauenskultur und der stets weiterentwickelten Sozialpartnerschaft seit über 35 Jahren kein Arbeitskampf (auch kein sog. Warnstreik) statt. In der Metall- und Elektroindustrie ist nach meiner Einschätzung die Zeit größerer „regulärer“ Arbeitskämpfe ebenfalls vorbei, die Gefahr von Kurzstreiks ohne Urabstimmung (Warnstreiks) ist jedoch in jeder Tarif-runde gegeben. Kurzstreiks und auch reguläre Streiks finden hingegen regelmäßig in kleineren Industriebranchen statt, die mit der Gewerkschaft ver.di verhandeln, so u.a. in der Druckindustrie und der Ver-packungsindustrie. Dies liegt an der sehr dogmatischen Ausrichtung dieser Gewerkschaft und der „Streiklust“ ihrer Mitglieder.

Da ich davon ausgehe, dass das Thema Arbeitskampf noch in einem nachfolgenden Vortrag eine Rolle spielen wird, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen, sondern mich dem dritten und letzten Teil meiner Ausführungen widmen, den Top und Flops der Tarifpolitik.

D. Meine Damen und Herren, der nachfolgenden Überblick über Tops und Flops der Tarifpolitik ist bewusst kursorisch. Sie sehen es mir bitte nach, wenn die Aufzählung wiederum keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und darüber hinaus möglicherweise etwas „arbeitgeberlastig“

ausfällt.

1. Zunächst zu den Misserfolgen der Tarifpolitik:

Bsp 1: Wenn Tarifverträge aus historischer Sicht die Aufgabe hatten, Mindestarbeitsbedingungen abzubilden, dann waren die stark überhöhten Lohnabschlüsse der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, häufig verbunden mit strukturellen Anhebungen der unteren Entgeltgruppen, ein erheblicher Sündenfall. Und dies nicht etwa nur aus der kurzfristigen Sicht ihres Zustandekommens, sondern vor allem resultierend aus ihrer nachhaltigen Wirkung bis in die heutigen Zeiten der

hohen Lohnstückkosten produziert, mit denen die Unternehmen im internationalen Wettbewerb noch heute zu kämpfen haben.

Zwar ließe sich einwenden, das hohe Lohnniveau habe den Zwang zu Rationalisierung, Innovation und Qualität vorangetrieben. Allerdings hat der Rationalisierungszwang die hohe Sockelarbeitslosigkeit produziert, unter der wir noch heute leiden. Speziell einfache Tätigkeiten wurden auf diese Weise aus Deutschland schlicht „wegtarifiert“. Branchentarifverträge sollten stets einem bestimmten Geleitzugprinzip folgen, d.h.

Tarifabschlüsse müssen auch von wirtschaftlich schwächeren Unternehmen verkraftbar sein, ohne gleichzeitig die Erwartungen der Belegschaften von wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen zu enttäuschen. Allerdings ist in jeder Tarifrunde zumindest von Arbeitgeberseite die Mahnung zu hören, die Entgeltlinie nicht zu hoch zu legen, um den Drang nach Verbandsaustritt und Flucht aus dem Tarifvertrag nicht weiter zu erhöhen.

Bsp 2: Ein Problem der Tarifpolitik speziell der jüngeren Vergangenheit