• Sonuç bulunamadı

Ohne einem der nachfolgenden Vorträge vorgreifen zu wollen, ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass Tarifverträge eine Doppelnatur haben: Sie

entstehen wie Verträge, also durch Verhandlungen und Einigung, sie binden aber nach ihrem Zustandekommen nicht nur die Tarifvertrags-parteien selbst, sondern auch Dritte. Deshalb haben sie in dieser Hinsicht Wirkungen wie Gesetze, ohne freilich in einem förmlichen parla-mentarischen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen zu sein. Der Tarifvertrag unterteilt sich also in einen schuldrechtlichen Teil, der die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien festlegt und in einen normativen Teil, in dem die inhaltlichen Regelungen für die tarifgebun-denen Dritten niedergelegt sind. Die speziell in der chemischen Industrie neben Tarifverträgen sehr verbreiteten Sozialpartnervereinbarungen entfalten im Gegensatz zum Tarifvertrag nur schuldrechtliche, aber keine normativen Wirkungen.

Auf die Inhalte des normativen Teils des Tarifvertrages komme ich noch einmal zurück. Was sind die typischen Rechte und Pflichten im schuld-rechtlichen Teil des Tarifvertrages? Nun, es wird Sie vielleicht über-raschen, dass die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien dort typischerweise nicht wörtlich aufgenommen sind. Gleichwohl haben Friedenspflicht und Durchführungspflicht – das sind die Hauptpflichten im schuldrechtlichen Teil – unmittelbare Wirkungen zwischen den Tarif-vertragsparteien. Die Friedenspflicht löst die Verpflichtung aus, während der Laufzeit des Tarifvertrages inhaltliche Forderungen oder gar Arbeits-kämpfe über im Tarifvertrag geregelte Themen zu unterlassen. Damit verbunden ist die sogenannte Einwirkungspflicht, d. h. die Pflicht, die eigenen Mitglieder dazu anzuhalten, den abgeschlossenen Tarifvertrag anzuwenden und den sozialen Frieden zu wahren. Die Friedenspflicht ist

„relativ“, d. h. sie gilt nur für das Thema, das Inhalt des abgeschlossenen Tarifvertrages ist. Eine absolute Wirkung, dass während der Tariflaufzeit auch keine sonstigen Themen gefordert und ggf. erstreckt werden dürfen,

besteht nur dann, wenn sie im Tarifvertragstext (ausnahmsweise) ausdrücklich niedergelegt ist. Die (relative) Friedenspflicht kann durch Vereinbarung von Verfahrensregelungen zur Schlichtung modifiziert werden. Ohne einem nachfolgenden Vortrag vorgreifen zu wollen, sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass z. B. in der deutschen Metall- und Elektroindustrie erst vier Wochen nach dem Laufzeitende von Tarif-verträgen Arbeitskämpfe möglich sind. Im Bereich der chemischen Industrie gilt während eines laufenden Schlichtungsverfahrens (welches bei Scheitern von Verhandlungen obligatorisch ist) weiterhin Friedens-pflicht.

Ein wichtiges Merkmal der Grobstruktur eines Tarifvertrages ist die Lauf-zeit, die bestimmt wird von Beginn und Ende. Der „normalste“ Anfangs-termin ist der nahtlose Anschluss an den Vorläufertarifvertrag, der freilich speziell bei Entgelttarifverträgen eher die Ausnahme geworden ist. Durch die Vereinbarung von sogenannten Null-Monaten, also Kalendermonaten ohne tabellenwirksame Entgelterhöhung, werden bei einem Tarifabschluss häufig Laufzeiten des Vorläufers verlängert. Entweder erfolgt statt der tabellenwirksamen Erhöhung überhaupt keine Zahlung für bestimmte Monate oder es wird lediglich eine Einmalzahlung ohne Dauerwirkung vereinbart. Damit schließen die Tarifverträge zwar juristisch nahtlos an, jedoch mit einer differenzierten Kostenwirkung für die Unternehmen.

Ebenfalls möglich ist ein Tarifvertragsabschluss mit Inkrafttreten der neuen Tarifkonditionen erst in der Zukunft, z.B. als Stufenmodell.

Und selbstverständlich kann ein Tarifvertrag auch rückwirkend in Kraft treten. Das ist z. B. bei Entgelterhöhungen für die Arbeitnehmer erfreulich und unproblematisch, für die Arbeitgeber bedeutet das eine kosten-trächtige doppelte Entgeltabrechnung. Bei Sanierungstarifverträgen für einzelne Unternehmen kann die rückwirkende Inkraftsetzung der Arbeit-geberseite Kostenentlastungen verschaffen und den Arbeitnehmern sogar Rechte aus Branchentarifverträgen nehmen (z.B. das nachträgliche Entfallen von Urlaubs- oder Weihnachtsgeld). Im Wirtschaftskrisenjahr 2009 waren solche Sondertarifverträge mit Rückwirkung in Deutschland nicht selten.

Und nun noch ein kurzer Blick an das Ende der Tariflaufzeit:

Ein Tarifvertrag endet im Falle seiner Befristung mit Zeitablauf. Er endet ferner mit Eintritt einer auflösenden Bedingung, falls eine solche verein-bart wurde. Nach allgemeinem Vertragsrecht endet er auch mit seiner förmlichen Aufhebung und natürlich (hauptsächlich) mit seiner ordentli-chen oder ggf. auch außerordentliordentli-chen Kündigung. Typischerweise wird in jeden Tarifvertrag eine Mindestlaufzeit eingearbeitet. Das bedeutet, der Tarifvertrag ist vom Prinzip her unbefristet, bedarf also einer Kündigung mit entweder kürzerer (bei Entgelten) oder längerer Kündigungsfrist (bei Rahmen- oder Manteltarifverträgen). Die Mindestlaufzeit kommt dadurch zustande, dass die frühestmögliche Ausübung des Kündigungsrechts vom Ablauf einer bestimmten Kalenderzeit (z. B. ein Jahr oder mehrere Jahre) abhängig gemacht wird.

Die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung von Tarifverträgen ist spätestens seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts praktisch ausgeschlossen: Die Stufentarifverträge der Metall- und Elektroindustrie der neuen Bundesländer standen zwar unter dem Vorbehalt der Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die von Arbeit-geberseite ausgesprochene außerordentliche Kündigung wegen der wesentlichen Änderung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wurde freilich von den Gerichten nicht als „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ des Tarifvertrages anerkannt. Als praktische Schlussfolgerung bleibt die Erkenntnis, dass lange Tariflaufzeiten, verbunden mit festen Stufenplänen von Tariferhöhungen, in Zeiten eines volatilen wirtschaftlichen Umfeldes das Risiko der Arbeitgeberseite signifikant erhöhen. Gewerkschaften könnten auf eine lange Tariflaufzeit mit – nachträglich betrachtet – zu geringen Tariferhöhungen mit der Forderung als nach einem

„Tarifnachschlag“ reagieren. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Tariflaufzeit in der Endphase von Tarifverhandlungen eine sehr wesent-liche Rolle spielt. Mit ihr lassen sich Kostenbelastungen steuern, wobei naturgemäß auch die Gefahr des Unter- oder Übersteuerns besteht.

Kommen wir bei der Grobstruktur nun zum räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages. Man unterscheidet den Unter-nehmens- oder Haustarifvertrag (diesen schließt ein Arbeitgeber mit einer Gewerkschaft ab) vom Verbandstarifvertrag (hier ist Vertragspartner der Gewerkschaft immer ein Arbeitgeberverband, egal ob der Tarifvertrag für

die ganze Branche oder nur für ein einziges Unternehmen abgeschlossen wird). Beim räumlichen Geltungsbereich unterscheidet man Bundestarifverträge (diese gelten für ganz Deutschland), regionale Tarifverträge (diese gelten für einen Tarifbezirk, der manchmal, aber nicht zwangsläufig identisch ist mit den politischen Grenzen eines Bundeslandes: und firmenbezogene Tarifverträge, deren Geltungsbereich entweder einen Betrieb, mehrere oder sogar alle Betriebe eines Unternehmens umfasst.

Im persönlichen Geltungsbereich ist festgelegt, welche Personengruppe von den Wirkungen des Tarifvertrages erfasst sein soll. Dies können alle Beschäftigten oder nur Beschäftigtengruppen sein (Auszubildende, Akademiker, Piloten, Krankenhausärzte, Lokführer, etc.). Keine tarifver-tragliche Regelungsbefugnis besteht bei außertariflichen Angestellten und bei sogenannten Leitenden Angestellten, weil deren Tätigkeit und Entgelt oberhalb der Merkmale der höchsten Tarifgruppe angesiedelt sind, so dass deren Arbeitsbedingungen individuell in Arbeitsverträgen geregelt werden.

3. An dieser Stelle meines Vortrags möchte ich Ihnen einen Überblick