DİE ENTWlCKLUNGSPROBLEME UNSERER STÂDTE Prof. ERNST REUTER
* Zusammenfassung
Es wird sich als eine Folge des Krieges in ailen Lândern ein sehr starkes öffentliches Interesse an den Fragen des Stâdtebaus bemerk- bar machen. İn dieser Richtung wirken die ausserordentlichen Zerstö- rungen der Stâdte und jahreslange Brachliegen des Baus für zivile Zwecke.
Die öffentlichkeit neigt irrtümlicherweise dazu den Stâdtebau für eine Art Geheimvvissenschaft der damit betrauten Architekten, İngeni- eure und allenfalls noch der kommunalen Vervvaltungsfachmânner zu halten. Dabei wird vergessen, dass es sich beim Stâdtebau keines- wegs nur um technische Fragen handelt. Die Pioniere der neueren İdeen waren sehr oft Outsider. Ebenezer Howard, dessen Werk “Gar- den Cities of Tomorrow„ so tiefe Spuren hinterlassen hat, war“nur„ ein einfacher Bankbeamter. In den Problemen des Stâdtbaus spiegelen sich, als in einem Brennpunkt unserer sozialen und gesellschaftlichen Verhâltnisse ali die vielfâltigen Probleme vvieder, mit denen wir im Zeitalter der entfesselten technischen und wirtschaftlichen Krafte der modernen kapi- talistischen Produktionsperiode zu ringen haben. Gesunde Lösungen auf stâdtebaulichem Gebiete können wesentlich dazubeitragen, das Wiederfinden eines seelischen Gleichgewichts zu erleichtern. Es İst den wenigsten klar, wie stark die Austrahlungen der üblichen stâdtebau- lichen Gestaltungen auf aile möglichen Gebiete des öffentlichen und privaten Lebens sind. Es besteht vielzusehr eine verhângnisvolle Nei- gung, sich mit der bisherigen, oft grotesken Unvernunft der augen- blicklichen Lösungen abzufinden. Das beruht meistens auf dem Unver- mögen, sich eine bessere Gestaltung und insbesondere deren Auswir- kungen richtig vorstellen zu können.
Die Vergangenheit hat uns genug Beispiele wirklich be- deutender StadtpIanungen überliefert. Sowohl in den von den Römern angelegten Castrum - Stâdten, wie in den uns heute noch oft bezaubernden mittelalterlichen Stâdten, in den Schöp- fungen der Kolonisationszeit wie in manchen Plânen des Absolutismus finden wir StadtpIâne, die für Jahrhunderte ausgereicht haben und die wir auch heute nicht ândern würden. Die stâdtebauliche Katastrophe des vergangenen Jahrhunderts war vielmehr die Folge einer sich überstürzenden Entwicklung. In dem Drang, von einem “Fortschritt,, zum andern zu eilen, vvuchsen die Stâdte planlos ins Uferlose.
DIE ENTWICKLUNGSPROBLEME UNSERER STAEDTE 16î
dichten von 1000 und mehr pro ha, Höfe und Hinterhöfe ohne Baum und Strauch, hemmung-slose Bodenspekulation und Vorherrschaft der nakten Bodeninteressen waren die Folgen. Parallel mit dem Steigen der Bodenrente sank der Gesundheitszustand der Bevölkerung und verg^ifteten sich die sozialen Beziehungen.
Lânder mit entwickeltem sozialen Gevvissen haben frühzeitig begon- nen, sich dieser, Entwicklung entgegenzustemmen. Deutschland und England, mit ihrer alt-ausgebildeten Kommunalvervvaltung wiesen die Wege. Nach dem ersten Weltkrieg entstanden hier und in den kleinen neutralen Lândern wegweisende neue Stadtteile, in denen ein gesun- derer Lebensstil sich manifestierte.
Nach den Grundeinsichten dieser neuen Bauvveise darf es keinen Schematismus und keine für aile Gegenden und Lânder gleiche Schab- lone geben. Sorgfâltiges Studium aller lokalen und nationalen Beson- derheiten wird vorausgesetzt. Aber im Rahmen dieser Grundeinsicht gibt es doch Regeln, die sich überall durchsetzen.
Kein Stâdtebau mehr ohne Planung. Planung nicht ein einmaliger Akt, sondern eine dauernde Tatigkeit. Verwendung der Boden “werte„ nur im Rahmen dieser Planung. Um den rechtlichen Schwierigkeit der verân- derten Auffassung vom Bodenvverte zu entgehen, gehen die Stadtver- waltungen zu systematischer Bodenvorratswirtschaft über. Heute be- stimmt der StadtpIan die Art der möglichen Bodenverwertung. Teilung der verfügbaren Flâche in: Arbeitsfiâchen, Wohnflâchen, Grün-und Erho- lungsflâchen und Verkehrsbânder. Es entsteht eine neue Rangordnung der Werte. Als Beispiel wird aus einer Studie der Züricher Technischen Hochschule folgende Gegenüberstellung zitiert:
REIHENFOLGE DER DRINGLİCHKEIT
Früher Heute 1. Uneingeschrânkte Bodenbenützung 2. Der Verkehr 1. Das Landschaftsbild 2. Die menschliche Wohnung
3. Die Land-und Forst- wirtschaft
4. Die Industrie 5. Der Verkehr
6. Beschrânkte Benüt- zung des Bodens
■ An die Spitze wird heute neben der Erhaltung der Schönheitsvverte
der Landschaft der Menschy sein Wohn-und Arbeitsbedürfnis gestellt. Radikale Senkung der Wohndichte, die 250 pro ha unter keinen Um-
stânden überschreiten darf. Verbot der Keller - und Mansardenwohnun- gen. Orientierung der Wohnungen nicht nach den Zufâlligkeiten der Strasse, sondern nach Licht, Luft und Sonne. Weitrâumigkeit.
Orga-3. Die Indusrie
4. Die Land-und Forstwirtschaft 5. Die Wohnsiedlung
6. Das Landschaftsbild
166 ERNST REUTER
nische Verbindung der Frei-und Erholunghsflâchen unter richtiger Aus- nutzung der Gârten und der Arbeitsfiâchen. Reservierung wertvollen Bodens für landvvirtschaftliche Zwecke. Trennung des Verkehrs nach Geschvvindigkeiten und in Lokal-und Durchgangsverkehr. Bescheidene Strassenausgaben in Wohnvierteln. Umgehungsstrassen. Moderner Stâdte- bau wirtschaftlicher als die alte schematische Methode gedanken- loser ReissbrettpIâne. Verzicht auf den Scheinreichtum der Bodenrente und Hebung der nationalen Produktionsfâhigkeit durch die Ermögli- chung der Aufzucht gesunderer Generationen.
Das Sichverlieren der Menschen in den Steinwüsten muss über- wunden werden. Schaffung nachbarlicher Einheiten in zusammenhân- gend geschlossenen Wohnvierteln. In solchen neuen Vierteln, wie sie in Europa nach dem ersten Weltkriege enstanden sind, wâchst ein neuer Lebens-und Zeitstil.
Die Stadtvervvaltungen müssen selber bauen, zusammen mit Genos- senschaften. Die Unsitte grosser Mietskasernen mit zehnjâhriger Amor- tisation und gleichbleibend unverantvvortlich hohen Mieten İst sozial nicht mehr zu verantworten. Die neue Âra des Stâdtebaus stellt in den Mittelpunkt ihrer Denkvveise den Menschen. Unter Ablehnung aller me- galomanen Uferlosigkeiten (150 Meter breite Achsen) macht sie ihn wieder zum Mass aller * Dinge. Ohne die wirklichen Werte der Ver- gangenheit zu schmâlern, wollen wir durch neues Denken im Stâdte- bau dazubeitragen, den SInn für das rechte Mass in ailen Dingen, für naturverbundene Heimatliebe und gemeinsames Schaffen der Menschen füreinander neu zu ervvecken. Unsere Visionen von heute vverden die Wirklichkeiten von morgen sein.