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Immer noch „allgemeine“ geschäftsbedingungen? Kritische gedanken zum vielzahlkriterium nach § 305 Abs. 1 BGB

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AcP 219, 1–28 – DOI: 10.1628/acp-2019-0002 ISSN 0003-8997 – © Mohr Siebeck 2019

Immer noch „allgemeine“ Geschäftsbedingungen?

Kritische Gedanken zum Vielzahlkriterium nach §305 Abs.1 BGB

von Prof. Dr. Vedat Buz, Ankara

Inhaltsübersicht

I. Einleitung . . . 1

II. Systeme zur Kontrolle von vorformulierten Klauseln . . . 3

III. Anforderungen an das Vielzahlkriterium . . . 11

IV. Rechtfertigungsversuche des Vielzahlkriteriums . . . 13

V. Die Frage der Entbehrlichkeit des Vielzahlkriteriums . . . 16

1. Meinungsstand . . . 16

2. Stellungnahme . . . 18

VI. Relevanz des Vielzahlkriteriums im Rahmen der ansätze der Inhaltskontrolle . . . 23

VII. Fazit . . . 27

I. Einleitung

In den Rechtsordnungen, in denen Vertragsfreiheit herrscht, unterliegen die zwischen den Parteien ausgehandelten Verträge in der Regel keiner ge-richtlichen Kontrolle. Die Parteien sind frei, den Inhalt des Vertrages inner-halb der gesetzlichen Grenzen beliebig zu bestimmen. Es wird von der ab-strakt zutreffenden Annahme ausgegangen, dass gleichgewichtige Vertrags-partner ihre Interessen selbst wahrnehmen können und deshalb der zwischen Parteien ausgehandelte Vertrag eine Richtigkeitsgewähr besitzt1.

Die Vermutung der Richtigkeitsgewähr des Vertrages ist allerdings er-schüttert, wenn der eine Vertragspartner nicht mehr die Möglichkeit hat, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Es geht um die Fälle, in denen der Vertrag nicht ausgehandelt, sondern von der einen Partei vorformuliert und der anderen gestellt, bzw. diktiert wird. Heute wird allgemein anerkannt, dass die Vertragsbedingungen einer gerichtlichen Kon-trolle unterworfen werden sollen, um die durch einseitige Vorformulierung gestörte Richtigkeitsgewähr wiederherzustellen.

1 Die Lehre von der Richtigkeitsgewähr, die die Diskussion um die Rechtfertigung

der Inhaltskontrolle wesentlich geprägt hat, geht auf Schmidt-Rimpler zurück, vgl.

(2)

Historisch entwickelte sich die Idee einer Klauselkontrolle erst mit der massenhaften Verwendung von standardisierten Vertragsbedingungen. Der AGB-Begriff in Deutschland oder der Begriff des contrat d’adhésion in Frankreich beschrieben eigentlich dieses Massenphänomen, wurden aber dann zu den Systembegriffen (§ 305 ff. BGB; Art. 1110 Abs. 2 CC). Das Wort «allgemein» oder «Standard» bringt zum Ausdruck, dass die Vertragsbedin-gungen nicht bloß für einen konkreten Einzelfall, sondern im Hinblick auf eine Mehrzahl künftiger Vertragsabschlüsse vorformuliert werden. Stellt man auf die Begriffe AGB oder Standardbedingungen ab, so bleiben vorformu-lierte Einzelverträge kontrollfrei.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es unerlässliche Voraus-setzung für eine Klauselkontrolle ist, dass die Vertragsbedingungen für eine „Vielzahl“ von Verträgen vorformuliert werden müssen. Im B2C-Bereich hat die Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Ver-braucherverträgen vom 05.04.19932 die Inhaltskontrolle auch auf die nur zur

einmaligen Verwendung bestimmten Vertragsbedingungen erstreckt, soweit der Verbraucher aufgrund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Ein-fluss nehmen konnte (Art 3 Abs. 1, 2 RL). Mit der pflichtgemäßen Umsetzung der Richtlinie sind heute in EU-Mitgliedstaaten auch Einmalbedingungen kontrollfähig. Übrig bleiben nur B2B- und C2C-Verträge, wobei dem Bereich B2B wohl die größte Bedeutung zukommt. In Bezug auf Rechtsordnungen, die auch für den unternehmerischen Geschäftsverkehr eine Klauselkontrolle vorsehen3, bleibt die oben aufgeworfene Frage bestehen: Findet die Kontrolle

auf alle vorformulierten Vertragsbedingungen Anwendung, auf deren Inhalt der Vertragspartner keinen Einfluss ausüben konnte? Oder ist sie nur auf für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Bedingungen beschränkt?

In vielen Ländern werden nur die für eine Vielzahl von Fällen anwend-baren vorformulierten Vertragsbedingungen der Klauselkontrolle unterzo-gen. Klauselkontrolle ist also auf AGB beschränkt. In einigen europäischen Rechtsvereinheitlichungsprojekten wurde demgegenüber die Klauselkont-rolle vom Vorliegen der Mehrfachverwendungsabsicht abgekoppelt und auch auf Einzelverträge erstreckt. Hiernach erfasst die richterliche Kontrolle alle nicht individuell ausgehandelten Bedingungen.

Nachfolgend wird versucht, den Sinn und Zweck des Vielzahlkriteriums zu ermitteln und kritisch zu hinterfragen. Insbesondere wird untersucht, ob

2 ABl. EG L 95, 29ff.

3 Für eine Liste der Länder, in denen auch der unternehmerische

Geschäftsver-kehr in die Kontrolle einbezogen ist, siehe Appenzeller, Die europäische AGB-Kontrolle, 2017, 50/51; Huth, Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen im unter-nehmerischen Geschäftsverkehr unter Berücksichtigung geltender Gewohnheiten und Gebräuche, 2017, 48f., beide m.w.N.

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die Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen eine unverzichtbare Vo-raussetzung für die individualschützende Klauselkontrolle ist. Kernstück der Klauselkontrolle ist die Inhaltskontrolle, weshalb im Folgenden besonderes Augenmerk auf sie gerichtet wird.

II. Systeme zur Kontrolle von vorformulierten Klauseln

Im internationalen Kontext nimmt das deutsche AGB-Recht einen beson-deren Platz ein. Insbesondere hat der AGB-Begriff des § 305 Abs. 1 BGB an-dere deutschsprachige Länder entscheidend beeinflusst. Deshalb seien hier in aller Kürze der AGB-Begriff in Deutschland und seinen Nachbarländern so-wie seine Bedeutung bei der Klauselkontrolle skizziert.

Im deutschen Recht wird die Klauselkontrolle grundsätzlich an das Vor-liegen von AGB angeknüpft. Nach der Legaldefinition in § 305 Abs.1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt. Die Bedingungen müs-sen also für eine Vielzahl von Verträgen aufgestellt worden sein. Ist eine Ver-tragsklausel nur für einen einzigen Vertrag vorformuliert, handelt es sich per Definition um keine AGB und scheidet deshalb eine Inhaltskontrolle aus. Zur Umsetzung der Klauselrichtlinie werden aber einige Merkmale des AGB-Be-griffs bei Verbraucherverträgen modifiziert bzw. aufgegeben. So gelten AGB nach § 310 Abs. 3 Nr. 1 als vom Unternehmer gestellt, soweit diese nicht durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden4. Dadurch wird teilweise

faktisch auf das Merkmal „Stellen“ verzichtet. Des Weiteren verzichtet § 310 Abs. 3 Nr. 2 auf die Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB und sieht vor, dass bestimmte Normen5 auf

vorformu-4 Dabei stellt sich die umstrittene Frage, ob die Fiktion des §310 Abs.3 Nr.1 BGB auch

die Einmalklauseln im Sinne von §310 Abs.3 Nr.2 BGB erfasst; bejahend

Staudinger/Schlos-ser, BGB, Neubearb. 2013, §310 Rn.56; Stoffels, AGB-Recht, 3.Aufl. 2015, Rn.130;

NK-BGB/Kollmann, BGB-Schuldrecht, 3.Aufl. 2016, §310 Rn.42;

MünchKomm-BGB/Base-dow, 7.Aufl. 2016, §310 Rn.70f.; ablehnend Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer, AGB-Recht,, 12.Aufl. 2016, §310 BGB Rn.81.

5 §310 Abs.3 Nr.2 BGB verweist lediglich auf §305c Abs.2, §§306, 307–309 BGB

sowie Art 46b EGBGB. Vgl. zur Diskussion, ob diese Aufzählung abschließend ist oder in richtlinienkonformer Auslegung auch andere Vorschriften des AGB-Rechts, insbesondere §§305 Abs.2 Nr.2 und 305c Abs.1 BGB, analog heranzuziehen sind, Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer (Fn.4), §310 BGB Rn.91; Wagner, Der Ein-fluss Europas auf das BGB, 2016, 73f.; JurisPK-BGB/Lapp/Salamon, 8.Aufl. 2017, §310 Rn.38; Erman/Roloff, BGB, 15.Aufl. 2017, §310 Rn.21; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §310 Rn.67; MünchKomm-BGB/Basedow (Fn.4), §310 Rn.75.

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lierte Vertragsbedingungen auch dann anzuwenden sind, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung keinen Einfluss auf den Inhalt nehmen konnte. Bei der Um-setzung der Vorgaben der Klauselrichtlinie hat zwar der deutsche Gesetzge-ber den AGB-Begriff des § 305 Abs. 1 BGB nebst seiner Geltung auch für Un-ternehmerverträge beibehalten. Aber wegen der Sondervorschriften in § 310 Abs. 3 Nr. 1 und 2 bleibt von der Definition von AGB nach § 305 Abs. 1 BGB lediglich das Merkmal vorformulierter Vertragsbedingungen übrig. Im prak-tischen Ergebnis läuft dies darauf hinaus, dass bei Verbraucherverträgen der AGB-Begriff des § 305 Abs. 1 beiseite geschoben wurde. Denn trotz fehlen-der AGB-Qualität ist das AGB-Recht vollständig (§ 310 Abs. 3 Nr. 1) ofehlen-der teilweise (§ 310 Abs. 3 Nr. 2) anwendbar6. Teils wird im Schrifttum gerade

die Inhaltskontrolle vorformulierter Einzelverträge als „Fremdkörper“ im AGB-Recht kritisiert7. Damit gelangen wir zur hier einzig interessierenden

Frage: Wie ist es zu rechtfertigen, dass bei der Inhaltkontrolle von B2B- und C2C-Verträgen weiterhin am AGB-Begriff festgehalten wird, obwohl die-ser Begriff bei Verbraucherverträgen – zumindest im Ergebnis – aufgegeben wurde? Eine Frage, die nicht mit dem schlichten Verweis auf die Vorgaben der Klauselrichtlinie oder auf den Verbraucherschutzgedanken abgetan werden kann.

In Österreich finden sich die zentralen Vorschriften zur AGB-Kontrolle in den durch den Erlass des Konsumentenschutzgesetzes8 in das ABGB

einge-führten §§ 864a (Geltungskontrolle) und 879 Abs. 3 ABGB (Inhaltskontrolle). Diese Bestimmungen kommen auch auf Verträge zwischen Unternehmern zur Anwendung. Die Klauselrichtlinie wurde im KSchG, insbesondere in § 6 KSchG, umgesetzt9. Da im österreichischen Recht eine gesetzliche Definition

der Begriffe der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ bzw. „Vertragsform-blätter“ fehlt, greifen die Rechtsprechung und ein Teil der Lehre auf die De-finition des § 305 Abs. 1 BGB zurück10. Die Mehrfachverwendungsabsicht ist

6 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer (Fn.4), §310 BGB Rn.38; Wagner

(Fn.5), 69.

7 Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Schäfer (Fn.4), §310 BGB Rn.40; Wagner

(Fn.5), 69.

8 Konsumentenschutzgesetz (KSchG), BGBl. 1979/140.

9 Das österreichische KSchG gewährt einen über die Mindestanforderungen der

Klauselrichtlinie hinausgehenden Verbraucherschutz. Der Verbotskatalog des §6 Abs.1 gilt auch für individuell ausgehandelte Klauseln eines Verbrauchervertrags, während die Klauselverbote des §6 Abs.2 nur dann eingreifen, wenn der Unternehmer nicht nach-weisen kann, dass die Klauseln im Einzelnen ausgehandelt worden sind.

10 Vgl. z.B. OGH 29.05.2018 – 1 Ob 57/18s, 4; OGH 30.08.2017 – 1 Ob 113/17z, 23;

OGH 24.05.2017 – 9 Ob 14/17z, 17; OGH 27.02.2017 – 1 Ob 3/17y, 6; OGH 23.02.2016 – 5 Ob 160/15p, 15; OGH 17.07.2014 – 4 Ob 117/14f, 8; OGH 30.08.2012 – 2 Ob

(5)

daher auch nach herrschender Auffassung im österreichischen Recht eines der Tatbestandmerkmale der Klauselkontrolle.

Anders als §§ 305 ff. BGB enthält das schweizerische OR keine speziellen Vorschriften zur AGB-Kontrolle11. Lehre und Rechtsprechung haben aus den

allgemeinen Grundsätzen des Obligationenrechts eine Reihe von ungeschrie-benen Regeln zur Geltungs-, Auslegungs- und Inhaltskontrolle entwickelt12.

Die zentrale Vorschrift für eine offene Inhaltskontrolle findet sich im Bun-desgesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG)13. Die bis zum 30. Juni

59/12h, 9; OGH 23.04.2008 – 7 Ob 89/08a, 6 (jeweils abrufbar unter https://www.ris. bka.gv.at/Jus/); Rummel/Lukas/Rummel, ABGB, 4.Aufl. 2014, §864a Rn.1; Schwie-mann/Kodek/Riedler, ABGB, 4.Aufl. 2014, §864a Rn.4; Koziol/Bydlinski/Bollen-berger/Bollenberger, ABGB, 4.Aufl. 2014, §864a Rn.1; vgl. kritisch aber Kellner, Der Rechtsbegriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 2013, 219ff.

11 Im OR finden sich nur punktuelle Regelungen, etwa bei Miete und Pacht

(Art.256 Abs.2 und Art.288 Abs.2 OR). In dem im Jahr 2013 vorgelegten Auto-ren-Entwurf für den neuen allgemeinen Teil des schweizerischen Obligationenrechts (OR-2020) existieren Bestimmungen zur Auslegungs- und Inhaltkontrolle (Art.33f.); zu diesem Entwurf siehe Huguenin/Hilty (Hg.), Schweizer Obligationenrecht 2020/ Code des obligations suisse 2020, 2013. Dieser Entwurf ist jedoch gescheitert, denn der Bundesrat kommt in einem am 31. Januar 2018 verabschiedeten Bericht zum Schluss, dass es zurzeit keinen Handlungsbedarf für eine Gesamtrevision des OR gibt (für die Medienmitteilungen des Bundesrats vom 31.01.2018 siehe https://www.ejpd.admin.ch/ ejpd/de/home/aktuell/news/2018/2018-01-310.html).

12 Obwohl in der Lehre Einigkeit besteht, dass eine offene Inhaltskontrolle

er-forderlich ist (vgl. statt vieler Thouvenin, in: Hilty/Arpagaus (Hg.), Basler Kommen-tar UWG, 2013, Art.8 Rn.58 m.w.N.), hat das Bundesgericht eine solche stets abge-lehnt. Stattdessen hat es auf Grundlage der Ungewöhnlichkeitsregel eine „verdeckte“ Inhaltskontrolle vorgenommen, indem es die Ungewöhnlichkeit umso eher bejahte, je stärker eine Klausel die Rechtsstellung des Vertragspartners beeinträchtigte; vgl. z.B. BGer. 08.12.2017, 4A_460/2017 E. 3.1; BGer. 20.09.2016, 4A_329/2016 E. 5.1.2; BGer. 18.03.2016, A_592/2015 E. 5.3.1; BGer. 03.06.2015, 4A_119/2015 E. 2.2; BGer. 29.04.2015, 4A_48/2015 E. 2.1; BGer. 15.07.2014, 4A_475/2013 E. 5.1; BGE 138 III 411 E. 3.1; 135 III 1 E. 2.1 (jeweils abrufbar unter http://www.bger.ch). Zur Kritik an die-ser Rechtsprechung siehe z.B. Walker, Kontrolle von Konsumenten-AGB unter beson-derer Berücksichtigung der Inhaltskontrolle nach Art.8 UWG, 2015, 59ff.; Kramer/ Probst/Perrig/Perrig, Schweizerisches Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 2016, Rn.180, beide m.w.N.

13 Die lauterkeitsrechtliche Einbettung der offenen Inhaltskontrolle ist im

Schrift-tum nach wie vor heftiger Kritik ausgesetzt. Es wird vorgebracht, dass das Lauterkeits-recht gemäß Art.1 UWG den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten schützen soll. Primär gehe es dem UWG mithin um den Schutz des Wettbewerbs als Institution und nicht um Individualschutz. Ein Individualschutz er-gebe sich lediglich als Reflex aus den Abwehr- und Beseitigungsansprüchen des UWG. Beim revidierten Art.8 UWG handele es sich daher materiell um Vertragsrecht; vgl.

Jung, in: Brunner/Schnyder/Eisner-Kiefer (Hg.), Allgemeine Geschäftsbedingungen

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Handkom-2012 geltende Fassung des Art. 8 UWG sah vor, dass die Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen unlauter sei, soweit die einzelne Klausel „in irreführender Weise“ zum Nachteil einer Vertragspartei von der anwend-baren gesetzlichen Ordnung erheblich abweicht oder eine der Vertragsnatur erheblich widersprechende Verteilung von Rechten und Pflichten vorsieht. Wegen des Erfordernisses der Irreführung blieb diese Bestimmung jedoch in der Praxis praktisch bedeutungslos, da durch klar formulierte AGB-Klauseln und besondere Hinweise auf allfällig nachteilige Bestimmungen ohne weiteres sichergestellt werden konnte, dass die AGB als nicht irreführend und folglich als lauter qualifiziert wurden14. In seiner am 1. Juli 2012 in Kraft getretenen

Fassung verzichtet Art. 8 UWG nun auf das Erfordernis der Irreführung, be-schränkt jedoch den Anwendungsbereich auf Verbraucherverträge15.

AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr richtet sich dagegen nun-mehr allein nach den obligationenrechtlichen Grundsätzen.

Wichtig für unsere Fragestellung ist folgendes: Das schweizerische Recht enthält keine Legaldefinition von AGB; gemeinhin wird die Definition des § 305 Abs. 1 BGB auf das schweizerische Recht übertragen16. Vorformulierte

mentar, Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 2.Aufl. 2016, Ein-leitung, Rn.93; BSK-UWG/Thouvenin (Fn.12), Art.8 Rn.74; Walker (Fn.12), 113f.;

Frei/Jung EuCML 2015, 165, 168f. ; vgl. zu Art.8 aUWG auch schon Kramer SJZ 1985, 33, 34f.: „Spötter mögen – im Sinne der aus der AGB-Dogmatik wohlvertrauten

Be-griffsbildung – gar von einer an versteckter Stelle angebrachten «überraschenden» ge-setzlichen AGB-Generalklausel sprechen.“.

14 Vgl. statt vieler Kramer/Probst/Perrig/Kramer, Schweizerisches Recht der

All-gemeinen Geschäftsbedingungen, 2016, Rn.68.

15 Zur Kritik an der Beschränkung des Anwendungsbereichs auf

Konsumen-ten-AGB vgl. Stöckli BR 2011, 184, 187f.; ders., in: Stöckli et al. (Hg.), Schweizerische Baurechtstagung 2013 … für alle, die bauen, 2013, 171, 176f.; Hess/Ruckstuhl AJP 2012, 1188, 1196; Furrer HAVE 2011, 324, 327; Walker (Fn.12), 127f.; Kramer/Probst/Perrig/

Probst, Schweizerisches Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 2016, Rn.500;

Kramer ZSR 137 (2018) I, 295, 321f.; Schwenzer, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 7.Aufl. 2016, Rn.44.03 und 45.13; Ernst ZSR 137 (2018) II, 1, 50.

16 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb

(UWG) vom 2.9.2009, BBl. 2009, 6151, 6177; BGer. 15.12.2003, 4C.282/2003 E. 3.1; BGer. 28.11.2002, 4P.135/2002 E.3.1; Walker (Fn.12), 5; Kramer/Probst/Perrig/Probst (Fn.15), Rn.73; Widmer, Missbräuchliche Geschäftsbedingungen nach Art 8 UWG, 2014, Rn.6 und 239; Kuoni, Haftungsbegrenzung im schweizerischen, deutschen und englischen Recht, 2015, Rn.71; BSK-UWG/Thouvenin (Fn.12), Art.8 Rn.1 und 78;

Schnyder, in: Brunner/Schnyder/Eisner-Kiefer (Hg.), Allgemeine

Geschäftsbedingun-gen nach neuem Schweizer Recht, 2014, 40; Schmid ZBJV 148/2012, 1, 6; Furrer HAVE 2011, 324, 325; Hess/Ruckstuhl AJP 2012, 1188, 1193; Vischer, AJP 2014, 964, 965; Gauch/

Schluep/Schmid, Schweizerisches Obligationenrecht, Bd.I, 10.Aufl. 2014, Rn.1117;

Hu-guenin, Obligationenrecht – Allgemeiner und Besonderer Teil, 2.Aufl. 2014, Rn.605;

(7)

Einzelverträge unterstehen daher weder vertragsrechtlicher noch lauterkeits-rechtlicher AGB-Kontrolle. Bezüglich des revidierten Art. 8 UWG ist dieses Ergebnis allerdings erstaunlich. Denn sowohl aus dem Wortlaut dieser Be-stimmung als auch aus den parlamentarischen Beratungen geht klar hervor, dass sich der Gesetzgeber mit dem neuen Art. 8 UWG an Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie orientiert hat17. Deshalb vertritt die herrschende Lehre den

Standpunkt, dass bei der Auslegung und Anwendung von Art. 8 UWG die Vorgaben der Klauselrichtlinie und die Rechtsprechung des EuGH berück-sichtigt werden müssen18. Trotz seiner Anlehnung an Art. 3 der

Klauselricht-linie stellt Art. 8 UWG weiterhin auf AGB ab. Ein weiteres Festhalten am Vielzahlerfordernis wird damit begründet, dass Art. 8 UWG nur Handlun-gen erfasse, die objektiv geeignet seien, den Wettbewerb zu beeinflussen19.

Diese Unstimmigkeit ist ein weiterer Beleg dafür, dass Art. 8 UWG fehlplat-ziert ist: Eine solche auf den Konsumentenschutz gerichtete und sich an den Art. 3 der Klauselrichtlinie orientierende Regelung sollte besser im einem be-sonderen Konsumentenschutzerlass oder aber im Obligationenrecht stehen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass im – inzwischen gescheiterten – aka-demischen Entwurf OR 2020 der Begriff „vorformulierte, nicht verhandelte Vertragsklauseln“ verwendet wurde20. Aus den Erläuterungen des Entwurfs

geht allerdings nicht klar hervor, ob damit der Verzicht auf das Vielzahlkrite-rium bezweckt wurde21.

In Frankreich wurde das Phänomen der Massenverträge mit dem Begriff des contrat d’adhésion beschrieben. Der Begriff des contrat d’adhésion wurde von Saleilles geprägt. Nach Saleilles22 gebe es Gebilde, die zwar scheinbar

17 Es wird sogar diskutiert, ob es sich bei Art.8 UWG um eine Rezeption von Art.3

Abs.1 der Klauselrichtlinie handelt, vgl. dazu ausführlich statt vieler Widmer (Fn.16), Rn.218ff.

18 Vgl. Kramer/Probst/Perrig/Probst (Fn.15), Rn.448; Brunner, in: Brunner/

Schnyder/Eisner-Kiefer (Hg.), Allgemeine Geschäftsbedingungen nach neuem Schwei- zer Recht, 2014, 38; Schnyder (Fn.16), 52ff.; Hess/Ruckstuhl AJP 2012, 1188, 1192f.;

BSK-UWG/Thouvenin (Fn.12), Art.8 Rn.9, 26 und 76; Walker (Fn.12), 115 und 153;

Vischer, AJP 2014, 964, 971f.; Koller (Fn.16), Rn.23.57.

19 Vischer AJP 2014, 964, 972.

20 Art.32 OR 2020, zu diesem Entwurf siehe auch oben Fn.11.

21 Die dazu in den Erläuterungen enthaltenen Ausführungen tragen eher zur

wirrung als zur Klarheit bei. So wird zuerst festgestellt, „vorformuliert“ seien Ver-tragsklauseln, die nicht im Hinblick auf den konkreten Vertrag formuliert wurden. Unmittelbar daran anschließend wird jedoch ausgeführt, es sei nicht von Bedeutung, ob der Verwender der vorformulierten Klauseln diese nur einmal oder in einer Vielzahl von Fällen anwendet; siehe Hans-Ueli Vogt, in: Huguenin/Hilty (Fn.11), 111.

22 Saleilles, De la Déclaration de volonté. Contribution à l’étude de l’acte juridique

(8)

Verträge seien, in Wirklichkeit jedoch vom Vertrag nur den Namen hätten und deren Inhalt praktisch nur durch den Willen der einen Vertragspartei bestimmt sei. Mangels eines besseren Namens könne man diese Gebilde

con-trats d’adhésion nennen. Es gehe um das einseitige Willensdiktat der einen

Seite, das die andere Seite wie ein Gesetz binde23. Zuerst blieb die

Rechtsfi-gur des contrat d’adhésion nur ein Gegenstand wissenschaftlicher Erörterun-gen. Gesetzlichen Eingang hat sie erst mit der französischen Schuldrechtsre-form 201624 in den Art. 1110 CC gefunden25. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift

handelt es sich um einen Individualvertrag (contrat de gré à gré), wenn die Bestimmungen des Vertrages zwischen den Parteien frei ausgehandelt sind. Der contrat d’adhésion bildet den Gegenbegriff zum Individualvertrag und wurde in Art. 1110 Abs. 2 definiert als ein Vertrag, „dessen allgemeine Bedin-gungen der Aushandlung entzogen und im Voraus von einem Partner festge-legt sind“. Wegen des in dieser Vorschrift enthaltenen Ausdrucks „allgemeine Bedingungen“ wird angenommen, dass nur die für eine mehrfache Verwen-dung vorformulierten Verträge unter den contrat d’adhésion zu subsumieren sind26. Art. 1110 CC in der Fassung von 2016 hat allerdings durch das

Ratifi-kationsgesetz vom 20.04.201827 (in Kraft ab 1.10.2018) wichtige

Modifikatio-nen erfahren. Nach dem neuen Abs. 1 des Art. 1110 CC ist für die Annahme eines contrat de gré à gré nicht mehr notwendig, dass die Vertragsbedingun-gen zwischen den Parteien tatsächlich ausgehandelt worden sind; ausreichend ist vielmehr, dass die Vertragsbedingungen aushandelbar gewesen waren. Noch wichtiger für unsere Fragestellung ist die Änderung am Abs. 2: Die neue Fassung dieser Vorschrift enthält den Ausdruck „allgemeine

Bedingun-23 Der französische Originaltext ist abgedruckt bei Ranieri, Europäisches

Obliga-tionenrecht, 3.Aufl. 2009, 326/327.

24 Ordonnance n° 2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des

con-trats, du régime général et de la preuve des obligations, JORF n° 35 du 11 févr. 2016, texte 26. Die Reformordonnance bedurfte der nachträglichen Bestätigung durch ein Parlamentsgesetz. Dieses Gesetz ist erst am 20.04.2018 ausgefertigt worden; dazu siehe unten Fn.27.

25 Bisher gab es im Frankreich keine allgemeine Klauselkontrolle. Bestimmte

Ge-setze enthalten jedoch Regelungen, die den Schutz vor missbräuchlichen Klauseln vor-sehen. Zu nennen ist zuerst Art.L-212-1 Code de la Consommation, der nur Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern (Nicht-Unternehmern) erfasst, und so-dann Art.L 442-6 Abs.1 Code de Commerce, der auch auf den unternehmerischen Rechtsverkehr anwendbar ist. Beiden Regelungen gemeinsam ist aber, dass sie nicht zwischen vorformulierten und ausgehandelten Klauseln unterscheiden.

26 Vgl. Chénedé JCP(G) 2016, n° 776, 1334, 1338; Fenouillet RDC 2016, 358, Rn.30. 27 Loi n° 2018-287 du 20 avril 2018 ratifiant l’ordonnance n° 2016-131 du 10 février

2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obli-gations, JORF du 21 avril 2018, texte 1.

(9)

gen“ nicht mehr28 und definiert den contrat d’adhésion als einen Vertrag, „der

eine Gesamtheit von nicht aushandelbaren Bedingungen enthält, die im Vo-raus von einem Partner festgelegt sind“29. Mit dieser Änderung wurde auf das

Vielzahlkriterium verzichtet. Nunmehr können auch Einzelverträge als

con-trat d’adhésion qualifiziert werden, soweit sie eine Gesamtheit von nicht

aus-handelbaren Bedingungen enthalten30. Wann sind die Vertragsbedingungen

im Sinne des Art. 1110 Abs. 2 CC nicht aushandelbar? Nach der wohl herr-schenden Lehre ist dies nur bei faktischer Unmöglichkeit des Aushandelns von Vertragsbedingungen anzunehmen, also in den Fällen, in denen der Ver-wender der Klausel den Vertragspartner vor die Wahl gestellt hat, entweder die Bedingungen anzunehmen oder vom Vertragsschluss Abstand zu nehmen31.

An dieser Stelle empfiehlt es sich, noch einen kurzen Überblick über die Lage in den internationalen Vereinheitlichungsprojekten zu geben. Hierbei lassen sich grob zwei unterschiedliche Linien ausmachen: Während einige Regelwerke an dem Vielzahlerfordernis ansetzen, erstrecken die anderen die Klauselkontrolle auf alle nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln.

Zu der ersten Gruppe zählen die PICC, der Vorentwurf eines Euro-päischen Vertragsgesetzbuchs (Gandolfi-Code)32 und der DCFR. Die PICC

stellen auf den Begriff der Standardbestimmungen ab. Art. 2.1.19 Abs. 2 PICC definiert sie als Regeln, die im Voraus für allgemeine und wiederholte Benut-zung durch eine Partei vorbereitet worden sind und die tatsächlich ohne Ver-handlung mit der anderen Partei benutzt werden. Hiernach unterliegen die Einmalbedingungen keiner Klauselkontrolle.

28 Allerdings hat das Ratifikationsgesetz an Art.1119 CC, der auch auf die

„condi-tions générales“ Bezug nimmt, keine Änderung vorgenommen.

29 Dementsprechend wurde auch Art.1171 in der Fassung von 2016 geändert. Die

neue Fassung von Art.1171 CC bestimmt, dass „in einem contrat d’adhésion jede nicht aushandelbare Klausel, die ein deutliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien schafft, als nicht geschrieben gilt“.

30 Dies geht aus den Materialien deutlich hervor: Während der ersten Lesung in der

Assemblée nationale wurde der Antrag gestellt, zusätzlich das Merkmal „für eine

Viel-zahl von Personen oder Verträgen“ in die Definition des contrat d’adhésion aufzuneh-men; dieser Antrag konnte sich allerdings nicht durchsetzen und wurde verworfen; vgl. dazu Mazeaud RDC 2018, n° 115g0, 65, Rn.14; ders. D. 2018, 912, Rn.16; Revet RDC 2018, n° 115g7, 4, Rn.5; Blanc RDC 2018, n° 115h2, 20, Rn.8; Andreu AJ Contrat 2018, 262, Rn.3; Mekki D. 2018, 900, Rn.31.

31 Mazeaud RDC 2018, n° 115g0, 65, Rn.15; ders. D. 2018, 912, Rn.16; Blanc RDC

2018, n° 115h2, 20, Rn.9; Andreu AJ Contrat 2018, 262, Rn.5.

32 Accademia dei Giurisprivatisti Europei (Koordinator Giuseppe Gandolfi), Code

Européen des Contrats, Avant-projet (2001), eine deutsche Übersetzung ist abgedruckt in ZEuP 2002, 139ff., 365ff.

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Auch im Gandolfi-Code sind Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle nur auf AGB beschränkt (Art. 30 Abs. 4 und 5, Art. 33 und Art. 38 Gandolfi-Code). Nach Art. 33 Gandolfi-Code sind AGB die Bedingungen, die von einer der Parteien vorbereitet wurden, um in gleicher Weise eine Vielzahl von bestimm-ten Vertragsbeziehungen zu regeln33. Allerdings gilt der für die

Auslegungs-kontrolle relevante Art. 40 Abs. 3 nicht nur für AGB, sondern für sämtliche nicht individuell ausgehandelten Klauseln.

Ein zum Teil dem deutschen Recht ähnliches Kontrollsystem findet sich im DCFR. Der DCFR verwendet sowohl den Begriff der Standardvertrags-bestimmungen als auch den der nicht im Einzelnen ausgehandelten Bestim-mungen. Standardvertragsbestimmungen sind definiert als Vertragsbestim-mungen, die für mehrere Verwendungen gegenüber verschiedenen Vertrags-partnern vorformuliert worden und nicht im Einzelnen durch die Parteien ausgehandelt worden sind (Art.II.–1:109). Bezüglich der Geltungs- und Aus-legungskontrolle im Allgemeinen (Art. II.–9:103 und Art. II.–8:103 f.) und der Inhaltskontrolle im B2C-Bereich (Art. II.–9:403) wird auf nicht im Einzel-nen ausgehandelte Bestimmungen abgestellt. Demgegenüber wird die Inhalts-kontrolle in B2B- und C2C- Bereich auf die AGB bzw. Standardvertragsbe-stimmungen beschränkt und dabei ein milderer Kontrollmaßstab angelegt (Art.II.–9:404f.).

Zu der zweitgenannten Gruppe gehören die PECL, die ACQP und das GEK. Die PECL wählen den Begriff der Allgemeinen Vertragsbedingungen („General conditions of contract“). Nach Art. 2:209 Abs. 3 sind allgemeine Vertragsbedingungen Bedingungen, die im Voraus für eine unbestimmte An-zahl von Verträgen bestimmter Art formuliert und die nicht von den Parteien individuell ausgehandelt worden sind. Die Mehrfachverwendungsabsicht stellt ein wichtiges Definitionsmerkmal dar; die für einen einzigen Vertrag vorformulierten Bedingungen fallen daher nicht unter diesen Begriff. Das Vorliegen von allgemeinen Vertragsbedingungen wird allerdings nur für die Anwendung des für die battle of the forms einschlägigen Art. 2:209 PECL vorausgesetzt. Bezüglich der Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle wird dem-gegenüber auf die nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln abgestellt (Art. 2:104; Art. 4:110 PECL). Die Regelungen der ACQP (Art. 6:101 ff.) be-finden sich weitgehend in Übereinstimmung mit den PECL.

Auch im GEK wird zwischen Standardvertragsbestimmungen (Art. 2 lit. d GEK-VO-E) und nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln (Art. 7 GEK-E)

33 Neben den AGB werden in Art.38 Gandolfi-Code auch Formularverträge

de-finiert. Diese sind danach Verträge, die durch Unterschreiben von Formularen oder Vordrucken geschlossen werden, welche zur gleichartigen Regelung vertraglicher Be-ziehungen bestimmt sind.

(11)

unterschieden. Die Definition der Standardvertragsbestimmungen in Art. 2 lit. d GEK-VO-E ist zwar identisch mit derjenigen des DCFR. Aber dieser Be-griff ist nur für die battle of the forms und für die Beweisregel des Art. 7 Abs. 3 GEK-E relevant; im Übrigen sind alle nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln kontrollfähig34. Selbst im unternehmerischen Geschäftsverkehr wird

die Klauselkontrolle nicht von dem Vielzahlerfordernis abhängig gemacht35.

III. Anforderungen an das Vielzahlkriterium

Wie oben aufgezeigt ist in vielen Rechtsordnungen und Regelwerken die Klauselkontrolle – außerhalb des B2C-Bereichs – an das Vielzahlerfordernis angeknüpft. Deshalb empfiehlt es sich, kurz darauf einzugehen, was unter diesem Erfordernis zu verstehen ist. Vorweg ist festzuhalten, dass an das Viel-zahlerfordernis keine hohen Anforderungen gestellt werden.

Erstens ist es nicht notwendig, dass die Vertragsbedingungen tatsächlich vielfach verwendet worden sind. Ausreichend ist die Absicht, die Vertragsbe-dingungen mehrfach zu verwenden. Besteht eine solche Absicht, so gelten die Bedingungen auch schon im ersten Verwendungsfall als AGB36. Dabei kommt

es auf die Absicht des Verfassers an, wenn derjenige, der die Bedingungen vor-formuliert hat, und derjenige, der sie verwendet, verschiedene Personen sind. Deshalb stellen die von einem Dritten zur mehrfachen Verwendung verfassten Vertragsbedingungen AGB dar, selbst wenn der Verwender sie nur in einem einzigen Vertrag verwenden will37. Umgekehrt wird eine für einen

Einzelver-34 Vgl. für die Einbeziehung Art.70 GEK-E; für die Auslegung Art.62 und 65

GEK-E; für Inhaltskontrolle Art.79ff. GEK-E.

35 Möslein, in: Schmidt-Kessel (Hg.), Der Entwurf für ein Gemeinsames

Euro-päisches Kaufrecht – Kommentar, 2014, Art.79 GEK-E Rn.25; Maletzki, Inhaltskon-trolle nicht individuell ausgehandelter Vertragsbestimmungen in B2C-Verträgen nach dem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht, 2014, 12; Kramer/Probst/Perrig/Kramer (Fn.14), Rn.54f.; Loos ZEuP 2012, 776, 778.

36 Stoffel (Fn.4), Rn.127; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack (Fn.4),

§305 BGB Rn.23; Köhler, BGB AT, 42.Aufl. 2018, §16 Rn.6; MünchKomm-BGB/

Basedow (Fn.4), §305 Rn.18; Prütting/Wegen/Weinreich/Berger, BGB, 12.Aufl. 2017, §305 Rn.5; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer, AGB-Recht, 6.Aufl. 2013, §305 BGB Rn.15f.; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §305 Rn.19; BeckOK-BGB/Becker, 46. Ed. 2018, §305 Rn.24; BeckOGK/Lehmann-Richter, BGB (1.6.2018), §305 Rn.120. Für das schweizerische Recht vgl. Walker (Fn.12), 8; Hess/Ruckstuhl AJP 2012, 1188, 1194; Huguenin (Fn.16), Rn.635c; BSK-UWG/Thouvenin (Fn.12), Art.8 Rn.1; für die PICC vgl. Vogenauer/Naudé, Commentary on the Unidroit Principles of International Commercial Contracts, 2nd ed. 2015, Art.2.1.19 Rn.2.

37 BGH NJW-RR 2017, 137, 138; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack

(12)

BeckOK-trag vorformulierte Klausel nicht dadurch AGB, dass sie später in weiteren Verträgen verwendet wird und erst dann als AGB einzustufen ist38.

Nicht erforderlich ist auch, dass die Verwendung gegenüber verschiedenen Vertragspartnern beabsichtigt ist; das Merkmal der Vielzahl von Verträgen ist selbst dann erfüllt, wenn die mehrfache Verwendung gegenüber einem be-stimmten Vertragspartner geplant ist39. Es kommt auch nicht darauf an, ob der

vorformulierte Text für eine unbestimmte oder bestimmte Vielzahl von Ver-wendungen konzipiert ist40; Vertragsbedingungen sind auch dann als AGB

anzusehen, wenn sie zur Verwendung in einer bestimmten Zahl von Rechts-geschäften aufgestellt sind 41.

BGB/Becker (Fn.36), §305 Rn.24; BeckOGK/Lehmann-Richter (Fn.36), §305 Rn.117; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §305 Rn.20; Erman/Roloff, (Fn.5), §305 Rn.11; JurisPK-BGB/Lapp/Salamon (Fn.5), §305 Rn.25;

Prütting/Wegen/Weinreich/Ber-ger (Fn. 36), §305 Rn.5; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer (Fn.36), §305 BGB Rn.15; NK-BGB/Kollmann (Fn.4), §305 Rn.11; Jauernig/Stadler, BGB, 7.Aufl. 2018, §305 Rn.4; Wolf/Neuer, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 11.Aufl. 2016, 573;

Fi-kentscher/Heinemann, Schuldrecht, 11.Aufl. 2017, Rn.165f.; Brox/Walker, Allgemei-nes Schuldrecht, 42.Aufl. 2018, §4 Rn.30. Für die Annahme von Standardbestimmun-gen im Sinne des Art.2.1.19 Abs.2 PICC ist jedoch erforderlich, dass die Partei selbst eine mehrfache Verwendung bezweckt; die Absicht eines (neutralen) Dritten genügt nicht; Gade, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen und europäischen Privatrecht, 2014, 64; Vogenauer/Naudé (Fn.36), Art.2.1.19 Rn.2; ähnlich für das ös-terreichische Recht Kellner (Fn.10), 272f.

38 Stoffels (Fn.4), Rn.127; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer (Fn.36), §305 BGB

Rn.15; BeckOK-BGB/Becker (Fn.36), §305 Rn.24;

Ulmer/Brandner/Hensen/Ul-mer/Habersack (Fn.4), §305 BGB Rn.22; Prütting/Wegen/Weinreich/Berger (Fn.36), §305 Rn.5.

39 Stoffels (Fn.4), Rn.128; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §305 Rn.20;

Münch-Komm-BGB/Basedow (Fn.4), §305 Rn.18; Brox/Walker (Fn.37), §4 Rn.30; Prütting/ Wegen/Weinreich/Berger (Fn.36), §305 Rn.5; Erman/Roloff (Fn.5), §305 Rn.11; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack (Fn.4), §305 BGB Rn.23; Wolf/Lin-dacher/Pfeiffer/Pfeiffer (Fn.36), §305 BGB Rn.16; HK-BGB/Schulte-Nölke, BGB, 9.Aufl. 2017, §305 Rn.4; NK-BGB/Kollmann (Fn.4), §305 Rn.11; JurisPK-BGB/

Lapp/Salamon (Fn.5), §305 Rn.25; BeckOK-BGB/Becker (Fn.36), §305 Rn.23; BeckOGK/Lehmann-Richter (Fn.36), §305 Rn.120. Nach Art.II.–1:109 DCFR und Art.6:101 Abs.3 ACQP muss die Verwendung gegenüber verschiedenen Vertragspart-nern beabsichtigt sein.

40 MünchKomm-BGB/Basedow (Fn.4), §305 Rn.18; Stoffels (Fn.4), Rn.128;

Er-man/Roloff (Fn.5), §305 Rn.11; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack (Fn.4), §305 BGB Rn.25; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §305 Rn.18; Wolf/Lindacher/Pfeif-fer/Pfeiffer (Fn.36), §305 BGB Rn.16; BeckOGK/Lehmann-Richter (Fn.36), §305 Rn.120.

41 Allerdings verwendet Art.2.209 Abs.3 PECL den Ausdruck „indefinite

num-ber of contracts“. Dem Wortlaut nach stellen damit die für eine bestimmte Vielzahl von

(13)

Ver-Hinsichtlich der Frage, was unter einer „Vielzahl“ im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB zu verstehen ist, geht die heute herrschende Ansicht von einer Mindestzahl von drei Fällen aus42. Der in Art. II.–1:109 DCFR verwendete

Ausdruck „for several transactions“ wird mit demjenigen „für eine Vielzahl von Verträgen“ in § 305 Abs. 1 BGB gleichgestellt43. Für das Vorliegen von

Standardvertragsbestimmungen im Sinne des Art. II.–1:109 DCFR ist dem-zufolge die Absicht einer mindestens dreimaligen Verwendung erforderlich44.

Demgegenüber ist in Art. 2.1.19 Abs. 2 PICC von der „wiederholten Benut-zung“ („repeated use“) die Rede. Ausgehend von diesem Wortlaut wird die zweimalige Verwendung als ausreichend angesehen45.

IV. Rechtfertigungsversuche des Vielzahlkriteriums

In den Rechtsordnungen, die die Mehrfachverwendungsabsicht als Tat-bestandmerkmal für die Klauselkontrolle vorsehen, haben sich Lehre und Rechtsprechung im Wesentlichen auf die Frage fokussiert, wann dieses Er-fordernis erfüllt ist. Dieses Merkmal wird als so selbstverständlich angese-hen, dass sich eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieses Merkmals für die Klauselkontrolle meist vermissen lässt. Und die Autoren, die sich mit der Mehrfachverwendungsabsicht eingehend befassen, kommen überwiegend

tragsschlusses, in: Basedow (Hg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht 2000, 58; Gade (Fn.37), 66f.; Luig, Der internationale Vertragsschluß, Ein Vergleich von UN-Kaufrecht, UNIDROIT-Principles und Principles of European Contract Law, 2003, 228. 42 BGH NJW 2002, 138, 139; Stoffels (Fn.4), Rn.128; Wolf/Neuer (Fn.37), 573; Fikentscher/Heinemann (Fn.37), Rn.165; Brox/Walker (Fn.37), §4 Rn.30; Köh-ler (Fn.36), §16 Rn.6; Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack (Fn.4), §305 BGB Rn.25; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Pfeiffer (Fn.36), §305 BGB Rn.16; Münch-Komm-BGB/Basedow (Fn.4), §305 Rn.18; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §305 Rn.20; Erman/Roloff (Fn.5), §305 Rn.11; BeckOK-BGB/Becker (Fn.36), §305 Rn.23; BeckOGK/Lehmann-Richter (Fn.36), §305 Rn.120. JurisPK-BGB/Lapp/Salamon (Fn.5), §305 Rn.25; Prütting/Wegen/Weinreich/Berger (Fn.36), §305 Rn.5; HK-BGB/Schulte-Nölke (Fn.39), §305 Rn.4; NK-BGB/Kollmann (Fn.4), §305 Rn.11; Jauernig/Stadler (Fn.37), §305 Rn.4. Für das schweizerische Recht vgl. Walker (Fn.12), 8; Hess/Ruckstuhl AJP 2012, 1188, 1194; Gauch/Schluep/Schmid (Fn.16), Rn.1117 Fn.221; Koller (Fn.16), Rn.23.02 Fn.3.

43 Vgl die unter der Leitung von Schulte-Nölke entstandene deutsche Übersetzung

des DCFR, Kommentar zu Art.II.–1:109.

44 Vgl. Gade (Fn.37), 68.

45 Spruß, Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im deutschen

Recht unter besonderer Berücksichtigung des europäischen Rechts und des UN-Kauf-rechts, 2010, 580; Gade (Fn.37), 64f.

(14)

zum Schluss, dass dieses Merkmal entbehrlich sei46. Nur vereinzelt werden

Argumente zur Berechtigung dieses Merkmals vorgebracht, auf die im Fol-genden kurz eingegangen werden soll.

Nach einer Ansicht ist von einer bestimmten Größenordnung an ein Inter-esse des Verwenders an einheitlicher Ausgestaltung der Verträge unter Ableh-nung von Änderungswünschen zu erwarten47. Es trifft zwar zu, dass

derje-nige, der für eine Vielzahl von Verträgen Vertragsbedingungen vorformuliert und verwendet, diese typischerweise nicht zur Disposition stellen wird. Dies entspricht dem mit dem Einsatz standardisierter Verträge verfolgten Ratio-nalisierungsinteresse. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass der Ver-wender bei Einzelverträgen bereit sei, den Änderungswünschen der Kunden nachzukommen48. Selbst wenn man dieser Argumentation folgt, reicht sie

nicht aus, um die Mehrfachverwendungsabsicht zum eigenständigen Tatbe-standsmerkmal zu erheben. Dass der Verwender die Klauseln, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind, typischerweise nicht zur Dispo-sition stellen wird, kann höchstens eine Vermutungsgrundlage für die feh-lende Möglichkeit des Aushandelns bilden. Bei der Abänderungsbereitschaft des Verwenders handelt es sich daher um eine Frage, die nur im Rahmen des Merkmals „Aushandeln“49 im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB bedeutsam

wer-den kann.

Fastrich versucht die Anforderung der Mehrfachverwendungsabsicht mit

dem Argument der Waffengleichheit der Kontrahenten zu rechtfertigen. Wenn der Verwender ohne die Mehrfachverwendungsabsicht und den damit ver-bundenen Rationalisierungsvorteil für einen einzigen Vertrag spezielle Ver-tragsbedingungen vorformuliere, so könne er auch von seinem Vertragsgegner erwarten, dass dieser für die Analyse der Bedingungen einen vergleichbaren Aufwand betreibe50. Dagegen wurde bereits zu Recht eingewendet, dass das

Schutzbedürfnis des Verwendungsgegners nicht vom Verhalten seines Gegen-übers abhängig gemacht werden darf. Die Individualität der Vertragsklausel

46 Vgl. dazu ausführlich unten V.

47 Vgl. Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack (Fn.4), §305 BGB Rn.25. 48 Im Gegenteil lässt sich sogar behaupten, dass derjenige, der eine Klausel für

ei-nen einzelei-nen Vertrag vorformuliert hat, eher daran interessiert sein wird, diese auch wirklich durchzusetzen; in dieser Richtung vgl. Kramer ZHR 146 (1982), 105, 109;

Miethaner, AGB-Kontrolle versus Individualvereinbarung, 2010, 79f.; a.A. Münch-Komm-BGB/Basedow (Fn.4), §310 Rn.68.

49 Nach herrschender Meinung stellt das Aushandeln gemäß §305 Abs.1 S.3 BGB

ein (negatives) Merkmal der Legaldefinition dar; §305 Abs.1 S.3 BGB hat daher eine einschränkende Funktion; vgl. dazu statt vieler Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/

Ha-bersack (Fn.4), §305 BGB Rn.40ff. m.w.N.

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sei für den Vertragsgegner meist nicht erkennbar und deshalb könne von ihm ein erhöhter Analyseaufwand nicht erwartet werden51. Dem ist noch

anzufü-gen, dass dieses Argument nicht zu erklären vermag, weshalb die AGB-Kon-trolle auch dann nicht eingreift, wenn der Verwender die von einem Dritten für einen einzigen Vertrag vorformulierten Vertragsbedingungen einmalig für sich selbst benutzt. In einem solchen Fall hat der Verwender keinen Auf-wand für die Vorformulierung betrieben und sollte deshalb auch von seinem Partner einen erhöhten Aufwand zur Klauselanalyse nicht erwarten dürfen.

Nach einem anderen Begründungsversuch erwecken die standardisiert verwendeten Vertragsklauseln den „Seriositätsschein des allgemein Üblichen

und Geübten“. Der Kunde neige nur allzu leicht zu der Annahme, dass das,

was allgemein praktiziert und akzeptiert wird, doch nicht so schlimm sein könne und lese die AGB überhaupt nicht oder jedenfalls nicht mit der gebote-nen Diligenz52. Im Grunde geht es dabei um einen der Gründe, die Lindacher

ganz allgemein für die Notwendigkeit der richterlichen AGB-Kontrolle aus-geführt hat. Teilweise wurde dies im Schrifttum jedoch als „der einzig

beden-kenswerte Rechtfertigungsversuch“ für das Vielzahlkriterium angesehen53.

Allerdings ist auch dieser Erklärungsversuch auf Kritik gestoßen. Zuerst wurde festgestellt, dass der Sog des vorformulierten Gedankens auch dann zu beobachten ist, wenn sich die Vorformulierung auf nur einen einzelnen Vertragsschluss beziehen soll54. Im Übrigen wurde darauf hingewiesen, dass

man einen Seriositätsschein nur bei allgemein anerkannten Klauselwerken wie etwa den VOB/B wird annehmen können und nicht schon bei eigenen Ge-schäftsbedingungen eines Unternehmers, die er für ein Dutzend Geschäfte einsetzen möchte55. Diesen berechtigten Kritiken bleibt noch zweierlei

hinzu-zufügen: Erstens wird bei dieser Argumentation von der Prämisse ausgegan-gen, dass der Kunde immer die Möglichkeit hat, auf die im Voraus abgefassten Klauseln Einfluss zu nehmen. Häufig befindet sich jedoch der Kunde in ei-ner „take it or leave it“-Situation: Er akzeptiert die vorformulierten Vertrags-bedingungen, nicht weil er auf den Seriositätsschein vertraut hat, sondern weil der Verwender die Vertragsbedingungen nicht zur Disposition gestellt hat. Und hinsichtlich der Abänderungsbereitschaft des Verwenders besteht, wie bereits ausgeführt, kein Unterschied zwischen Einmalbedingungen und AGB. Zweitens vermag dieser Gedanke nicht zu erklären, weshalb eine AGB-Kontrolle stattfindet, wenn der Verwender mit Mehrfachverwendungsabsicht

51 Vgl. Miethaner (Fn.48), 81f.; Vaupel, Die Kompensation von

Ungleichgewichts-lagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, 142f.

52 Lindacher BB 1982, 296, 297.

53 Kramer ZHR 146 (1982), 105, 110; ders. ZSR 137 (2018) I, 295, 322. 54 Kramer ZHR 146 (1982), 105, 110.

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eine Klausel aufgreift, die ursprünglich allein für einen konkreten Einzelver-trag vorformuliert war. Die für einen bestimmten VerEinzelver-trag entworfene Klausel erweckt ja keinen Seriositätsschein, nur weil der Verwender die Absicht hat, sie später in weiteren Verträgen zu verwenden.

Bisweilen wurde das Vielzahlerfordernis bei B2B-Geschäften mit den spe-ziellen Bedürfnissen und Besonderheiten des unternehmerischen Geschäfts-verkehrs zu rechtfertigen versucht. So wurde z.B. die Befürchtung geäußert, dass die Bereitschaft zur Erstellung von Vertragsentwürfen empfindlich lden würde, wenn im unternehmerischen Geschäftsverkehr alle Verträge ei-ner Inhaltskontrolle unterliegen würden56. Dem ist entgegenzuhalten, dass

die Erstellung eines Vertragsentwurfs ohnehin den Verdacht aufkeimen lässt, dass eine kontrollfähige AGB vorliegt. Ein Verzicht auf das Vielzahlkriterium würde daher die Bereitschaft zur Erstellung von Vertragsentwürfen nicht zu-sätzlich verringern. Nach einer anderen Ansicht würde die Rechtssicherheit gefährdet, wenn auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr vorformu-lierte Einzelverträge einer Kontrolle unterliegen würden57. Auch diese

Be-gründung vermag nicht zu überzeugen. Die Erweiterung der Klauselkontrolle auf alle nicht im Einzelnen ausgehandelten Klauseln hat im B2C-Bereich nicht zu einer zusätzlichen Rechtsunsicherheit geführt. Es ist kein Grund ersicht-lich, weshalb dies im unternehmerischen Geschäftsverkehr anders verlaufen sollte. Vielmehr wäre es der Rechtssicherheit eher förderlich gewesen, von dem Vielzahlerfordernis abzusehen. Denn dadurch ist man der undankbaren Aufgabe enthoben, zu untersuchen, ob die Klauseln zur Mehrfachverwen-dung vorformuliert wurden und wenn ja, ob ihre mindestens dreimalige Ver-wendung beabsichtigt ist58.

V. Die Frage der Entbehrlichkeit des Vielzahlkriteriums 1. Meinungsstand

Trotz der Legaldefinition des § 305 Abs. 1 BGB ist das Vielzahlkriterium nicht uneingeschränkt akzeptiert. Schon bald nach dem Inkrafttreten des AGBG hat Lieb den Zweifel geäußert, ob es zwischen der vom Gesetz gefor-derten Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen und der Schutzbe-dürftigkeit des Vertragspartners ausreichende Verbindungslinien gibt59. Noch

klarer stellte Kramer fest, dass die Richtigkeitsgewähr des Vertrags nicht nur

56 Ulmer EuZW 1993, 337, 343. 57 Remien ZEuP 1994, 34, 49.

58 Vgl. Kramer/Probst/Perrig/Kramer (Fn.14), Rn.15. 59 Lieb AcP 178 (1978), 196, 202 Fn.18.

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dann typischerweise beeinträchtigt erscheint, wenn der Vertragsinhalt für eine Vielzahl von künftigen Verträgen vorformuliert ist, sondern auch schon dann, wenn dies in abschließender und endgültig erscheinender Form für ei-nen einzelei-nen Vertragsschluss der Fall ist60.

Auch in der neueren Literatur werden gegen das Vielzahlkriterium erheb-liche Bedenken angemeldet61. So ist nach Hellwege das Vielzahlkriterium für

die individualschützende Ausprägung der Inhaltkontrolle aufzugeben. Ent-scheidend sei allein der Akt des Stellens62. Oetker merkt an, dass die von § 305

Abs. 1 S. 1 BGB geforderte Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen als Voraussetzung einer AGB-Kontrolle zweifelhaft ist. Aus Sicht beider Ver-tragsparteien bedeute es für das Verhandlungsgleichgewicht keinen Unter-schied, ob das Klauselwerk zur einmaligen oder zur mehrfachen Verwendung erstellt worden sei. In den Fällen, in denen eine mit Verbrauchern vergleich-bare Schutzbedürftigkeit bestehe, sei deshalb zu erwägen, §310 Abs.3 Nr.2 BGB entsprechend anzuwenden und die Inhaltskontrolle generell auf vorfor-mulierte Vertragsbedingungen auszudehnen, unabhängig davon, ob diese zu einer einmaligen oder mehrfachen Verwendung bestimmt seien63. Miethaner

weist darauf hin, dass zwischen der Mehrfachverwendungsabsicht des Ver-wenders und der Beeinträchtigung der Selbstbestimmung des Verwendungs-gegners kein Zusammenhang besteht. Der Kunde, der mit den vorformulier-ten Klauseln konfrontiert werde, berücksichtige beim Vertragsschluss die Klauseln meist nicht, weil deren intensive Begutachtung sich für ihn nicht lohne. Im Hinblick auf diese legitime Ignoranz des Verwendungsgegners spiele es keine Rolle, ob der Anbieter seine Klauseln nur ihm oder auch seinen anderen Kunden gegenüber einsetze64. Nach Vaupel liegt der Grund für das

Versagen der Richtigkeitsgewähr bei der Verwendung vorformulierter tragsbedingungen in der Vorformulierung und nicht in der Absicht, die Ver-tragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen zu verwenden. Die Vorfor-mulierung verschaffe dem Verwender einen Vorbereitungsvorteil. Und

die-60 Kramer ZHR 146 (1982), 105, 111.

61 Niebling MDR 2017, 742, 750; Kaufhold BB 2012, 1235, 1239; Oetker AcP 212

(2012), 202, 227ff.; Vaupel (Fn.51), 140ff.; Miethaner (Fn.48), 78ff.; Hellwege, All-gemeine Geschäftsbedingungen, einseitig gestellte Vertragsbedingungen und die all-gemeine Rechtsgeschäftslehre, 2010, 571ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestim-mung des Verbrauchers, 1998, 347; Leuschner, AcP 207 (2007), 491, 507;

Jauernig/Stad-ler (Fn.37), §305 Rn.4.

62 Hellwege (Fn.61), 571 ff : Der Autor stellt aber im Hinblick auf die auf den

Ge-danken des partiellen Marktversagens zurückzuführende AGB-Kontrolle bei B2B-Ge-schäften weiterhin auf den AGB-Begriff ab; vgl. JZ 2012, 1130ff.

63 Oetker AcP 212 (2012), 202, 227ff. 64 Miethaner (Fn.48), 78.

(18)

ser Vorbereitungsvorteil bestehe unabhängig davon, ob die vorformulierten Vertragsbedingungen nur zur einmaligen oder zur mehrfachen Verwendung bestimmt seien65.

Auch im österreichischen Recht wird am Vielzahlkriterium nicht mehr strikt festgehalten. So hat der OGH den Anwendungsbereich des § 879 Abs. 3 ABGB außerhalb von AGB oder Vertragsformblättern auch auf die zur ein-maligen Verwendung vorgesehenen vorformulierten Klauseln erweitert. Er führt dazu aus, dass sich § 879 Abs. 3 ABGB insbesondere gegen den Miss-brauch der Privatautonomie durch Aufdrängung benachteiligender Nebenbe-stimmungen durch den typischerweise überlegenen Vertragspartner bei Ver-wendung von AGB und Vertragsformblättern richte. Für die VerVer-wendung von AGB als Anknüpfungskriterium habe der Gesetzgeber sich deshalb entschie-den, weil es sich dabei um einen verhältnismäßig leicht fassbaren typischen Fall einer solchen Ungleichgewichtslage handle, doch müsse Entsprechendes auch gelten, wenn sich ein Vertragsteil der vorformulierten Erklärung des an-deren oder eines Dritten unterwerfe66.

Im schweizerischen Recht wird das Vielzahlerfordernis allgemein als selbstverständlich angesehen und keiner kritischen Würdigung unterzogen. Im neueren Schrifttum finden sich vereinzelt kritische Stimmen. So wird da-gegen eingewendet, das Kriterium der Mehrfachverwendung bzw. Mehrfach-verwendungsabsicht einseitig vorformulierter Vertragsbestimmungen werfe mehr Fragen auf, als es praktischen Nutzen bringe, und sollte fallen gelassen werden67.

2. Stellungnahme

Diesen gegen das Vielzahlkriterium gerichteten Kritiken ist uneinge-schränkt zuzustimmen. Es ist kein stichhaltiger Grund ersichtlich, weshalb die individualschützende Klauselkontrolle von der Mehrfachverwendungsabsicht des Verwenders bzw. Verfassers abhängig sein sollte. Für die Schutzwürdigkeit

65 Vaupel (Fn.51), 140ff., 146.

66 OGH 12.08.2004 – 1Ob144/04i, JBl 2006, 103; ebenso Rummel/Lukas/Krejci,

ABGB, 4.Aufl. 2014, §879 Rn.372; Schwiemann/Kodek/Riedler (Fn.10), §864a Rn.4;

Kiendl, Unfaire Klauseln in Verbraucherverträgen, 1997, 103f.; Kietaibl, Allgemeine Arbeitsbedingungen, 2011, 155ff. und 170ff., der jedoch für die generelle Anwendung des §879 Abs.3 ABGB auf bloß im Einzelfall vorformulierte und nicht verhandelbare Vertragsbedingungen das Hinzutreten weiterer Unterlegenheitsindizien fordert; a.M.

Kellner (Fn.10), 270ff.

67 Kramer/Probst/Perrig/Probst (Fn.15), Rn.80 Fn.211; Kramer/Probst/Perrig/

Kramer (Fn.14), Rn.15; ders. ZSR 137 (2018) I, 295, 303f.; vgl. kritisch auch Schwenzer (Fn.15), Rn.44. 01.

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des Vertragspartners ist es irrelevant, ob die Klauseln für eine Vielzahl von Verträgen oder für einen einzigen Vertrag bestimmt sind. Es wird den Kunden sicherlich nicht trösten, wenn er erfährt, dass nicht auch andere durch diesel-ben Klauseln diesel-benachteiligt werden. Der Vertragspartner wird nicht deshalb be-nachteiligt, weil die Klauseln für eine Vielzahl von Verträgen konzipiert wur-den, sondern deshalb, weil er keine Möglichkeit hatte, auf den Vertragsinhalt Einfluss zu nehmen. Oder mit den in der AGB-Dogmatik etablierten Begriffen ausgedrückt: Der Grund für die Störung der vertraglichen Richtigkeitsgewähr liegt nicht in der Mehrfachverwendungsabsicht. Wäre dem so, so müssten auch individuell ausgehandelte Klauseln der Kontrolle unterliegen, wenn sie origi-när für eine Vielzahl von Verträgen aufgestellt wurden.

Zwar ist es richtig, dass die AGB typischerweise die Gefahr der einseitigen Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders bergen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass bei Einzelverträgen diese Gefahr nicht besteht. Die Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen hat allenfalls eine Indizwir-kung für die fehlende Möglichkeit des Vertragspartners zur Einflussnahme bzw. zum Aushandeln der Vertragsbedingungen. Sonst besteht kein Unter-schied zwischen AGB und vorformulierten Einzelverträgen. Es kann nicht im Ernst behauptet werden, dass die Gefahr der unbilligen Risikoverlagerung erst ab dreimaliger Verwendungsabsicht virulent wird. Für die Anknüpfung an den AGB-Begriff in § 305 Abs. 1 BGB ließe sich anführen, dass der Ge-setzgeber typisierend vorgehen darf. Eine der Voraussetzungen der zulässigen Typisierung ist jedoch, dass mit ihr verbundene Härten nur unter Schwierig-keiten vermeidbar wären68. Dass eine sich auf alle nicht im Einzelnen

ausge-handelten Klauseln beziehende Typisierung ohne weiteres möglich ist, zeigt § 310 Abs. 3 S. 2 BGB klar und deutlich.

Inhaltlich unterscheiden sich vorformulierte Einmalbedingungen meist kaum von AGB. Denn schließlich stehen z.B. für die Formulierung einer Risi-koabwälzungsklausel nicht viele Alternativen zur Verfügung. Wenn der Ver-wender nur in einem Einzelfall eine solche Klausel gestellt hat, kommt es nach dem geltenden Recht darauf an, ob diese selber erstellt wurde oder dazu auf die von einem Dritten vorformulierten Muster, Formulare oder Textbausteine zurückgriffen wurde: Im ersten Fall bleibt die Klausel – wegen der fehlenden Mehrfachverwendungsabsicht – kontrollfrei, während sie im zweiten Fall – wegen der Mehrfachverwendungsabsicht des Verfassers – der Kontrolle un-terliegt. Es gibt keinen einzigen sachlichen Grund, der diese unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde. Es ist auch schwerlich festzustellen, ob der Verwender die fragliche Klausel selbst erstellt hat oder sich eines von Dritten

68 Vgl. BVerfGE 84, 348, 360= NJW 1992, 423,424; BVerfGE 100, 138, 174f.

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für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Textes bedient hat. Nach der Rechtsprechung des BGH ist es für die Bejahung der Mehrfachverwendungs-absicht ausreichend, dass eine bestimmte Klausel branchenüblich ist69. Schon

dadurch wird das Vielzahlkriterium ad absurdum geführt. Denn die Formu-lierungsalternativen sind begrenzt, so dass eine bisher noch nicht praktizierte Neuschöpfung kaum vorzustellen ist70.

Nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB liegen AGB nicht vor, „soweit diese zwischen den Parteien im Einzelnen ausgehandelt wurden“. Ist die Vertragsbedingung im Einzelnen ausgehandelt worden, dann liegt eine Individualvereinbarung vor und die AGB-Kontrolle ist ausgeschlossen. Sind auch vorformulierte Ein-malbedingungen als Individualvereinbarungen einzuordnen? Zwar wird im Rahmen des § 305 BGB die Frage, ob die Vertragsbedingungen ausgehandelt sind, erst dann relevant, wenn alle anderen Definitionsmerkmale der AGB erfüllt sind. Fehlt das Tatbestandsmerkmal der Vielzahl von Verträgen, lie-gen schon aus diesem Grunde keine AGB vor und es stellt sich die Frage des Aushandelns gar nicht. Im praktischen Ergebnis werden aber vorformulierte Einzelverträge gleich behandelt wie Individualvereinbarungen71. Dass sich die

praktische Gleichstellung der vorformulierten Einmalbedingungen mit den im Einzelnen ausgehandelten Bedingungen sachlich nicht rechtfertigen lässt, liegt auf der Hand. Nach Fastrich bestehen zwischen AGB und dem im Ein-zelnen ausgehandelten Individualvertrag beliebig viele Übergangsformen, bei welchen von der einen zur anderen jeweils nur ein kleiner Schritt besteht, der die abweichende Behandlung allein noch nicht unbedingt als zwingend er-scheinen lässt. Das sei aber bei jeder Grenzziehung der Fall. Der Gesetzge-ber habe nun einmal die Grenze mit dem Begriff der AGB gezogen, und es sei jedenfalls nicht evident, dass darin ein so eklatanter Fehlbegriff liege, der es rechtfertigen könnte, die gesetzgeberische Entscheidung insgesamt nach-zubessern72. Allerdings hat, wie bereits aufgezeigt, selbst Fastrich das

Viel-zahlerfordernis nicht überzeugend begründen können. Mit der Umsetzung der Klauselrichtlinie sind bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher die Grenzen neu gezogen; und es gibt keinen stichhaltigen Grund, bei den übrigen Verträgen die herkömmliche Grenzziehung aufrecht-zuerhalten.

69 BGH BeckRS 2005, 08272.

70 Vgl. Fritzsche/Bonnmann/Vocke/Guddat/Fritzsche, Praxishandbuch

Gewer-beraummiete, 2015, Kap.4 Rn.10.

71 Vgl. ähnlich Basedow ZHR 150 (1986), 469, 485, der – in Bezug auf die

Verbands-normen – feststellt, dass die dichotomische Unterscheidung zwischen AGB und Indi-vidualvereinbarung in §1 AGBG (jetzt: §305 Abs. 1 BGB) für eine dritte Kategorie keinen selbstständigen Raum lässt.

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Was für eine Vielzahl von Verträgen nicht zulässig ist, sollte auch für einen einzigen Vertrag nicht zulässig sein. Wenn bei einer Vielzahl von Verträgen die Vorformulierung der Vertragsklauseln ohne Einflussnahmemöglichkeit der anderen Vertragspartei der Kontrolle unterliegt, so sollte gleiches auch für vorformulierte Einmalbedingungen gelten. Andernfalls würde es bedeuten, dass die Rechtsordnung bis zu einer bestimmten Anzahl die einseitige Aus-nutzug der Vertragsgestaltungsfreiheit toleriert und erst bei Überschreitung dieser Anzahl von Missbräuchen eingreift.

Eigentlich gibt die Mehrfachverwendungsabsicht nur auf die Frage eine Antwort, weshalb der Verwender die Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert; nicht dagegen auf die Frage, weshalb der Ver-tragspartner vor AGB geschützt werden soll. AGB dienen bekanntlich dem – berechtigten – Rationalisierungsinteresse des Verwenders: Gleichlautende Geschäftsbedingungen ersparen dem Verwender die Kosten und den Ar-beitsaufwand, Verträge im Einzelnen auszuhandeln. Um diesen Rationalisie-rungseffekt zu erzielen, müssen die Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sein. Beim Individualschutz geht es allerdings einzig darum, den Vertragspartner des Verwenders vor unbilligen Klauseln zu schützen. Bei Einmalbedingungen ist die Gefahr einer einseitigen Inte-ressenwahrnehmung nicht geringer als bei AGB73. Die Schutzbedürftigkeit

des Vertragspartners entfällt nicht deshalb, weil der Verwender die Vertrags-bestimmung unter Verzicht auf einen Rationalisierungsgewinn nur für einen einzigen Vertrag vorformuliert hat. Es ist daher mit einem Denkfehler behaf-tet, den Schutz des Vertragspartners von einem Merkmal abhängig zu ma-chen, das nur für das Rationalisierungsinteresse des Verwenders relevant ist.

Das Vielzahlkriterium erlangt lediglich für den überindividuellen Rechts-schutz Bedeutung. So setzen die Verbandsklagen auf Unterlassung oder Wi-derruf nach § 1UKlaG das Vorliegen von AGB voraus. Es handelt sich um ein abstraktes Kontrollverfahren und daher können die Einmalbedingungen nicht mit der Verbandsklage angegriffen werden74. Gleiches gilt auch für das

Kontrollverfahren nach den Vorschriften des UWG75.

73 Vgl. Miethaner (Fn.48), 80; anders aber BGH NJW 2008, 2250, 2253.

74 Stoffels (Fn.4), Rn.1228; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §1 UKlaG Rn.2; Ulmer/

Brandner/Hensen/Witt, AGB-Recht,12.Aufl. 2016, §1 UKlaG Rn.4a; Köhler/Born-kamm/Feddersen/Köhler, UWG, 36.Aufl. 2018, §1 UKlaG Rn.3; a.A. Nieblig MDR 2012, 1071, 1072.

75 Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Lehre sind die

Vorschrif-ten über die Kontrolle unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen gemäß §1 UKlaG und des Lauterkeitsrechts nebeneinander anwendbar; vgl. BGH GRUR 2018, 423, 428; BGH GRUR 2010, 1117, 1119; BGH GRUR 2010, 1120, 1121; Ulmer/Brand-ner/Hensen/Witt (Fn.74), §1 UKlaG Rn.3; BeckOK-BGB/Schmidt, 46. Ed. 2018,

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Nicht zu verwechseln mit der hier behandelten Frage ist die Frage, ob und inwieweit im Unternehmensverkehr eine AGB-rechtliche Inhaltskontrolle ge-boten ist. In den letzten Jahren hat sich die Diskussion darüber intensiviert76.

Die Kontroverse hat sich dabei meist an zwei Aspekten der Rechtsprechung des BGH zur Inhaltskontrolle entzündet: Zum einen werden an das „Aushan-deln“ i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB und damit an das Vorliegen einer Individual-vereinbarung zunehmend strengere Anforderungen gestellt77, zum anderen

wird den Klauselverboten von §§ 308, 309 BGB eine Indizwirkung für den un-ternehmerischen Geschäftsverkehr beigemessen, soweit nicht ausnahmsweise besondere Interessen und Bedürfnisse des unternehmerischen Geschäftsver-kehrs identifiziert werden können78. Eine Problematik, die zudem jetzt sogar

Gegenstand des Koalitionsvertrages der 19. Legislaturperiode ist79, jedoch in

keinem direkten Zusammenhang mit der Frage der Notwendigkeit des

Viel-§307 Rn.14a; Staudinger/Schlosser (Fn.4), §1 UKlaG Rn.2; JurisPK-BGB/Baetge, 8.Aufl. 2017, §1 UKlaG Rn.21; Fezer/Büscher/Obergfell/Götting/Hetmank, Lauter-keitsrecht: UWG, 3.Aufl. 2016, §3a UWG Rn.159; Köhler/Bornkamm/Feddersen/

Köhler (Fn.74), §3a UWG Rn.1.285; a.A. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Lindacher, AGB-Recht, 6.Aufl. 2013, Vor §1 UKlaG Rn.27.

76 Vgl. zu Forderungen nach einer Absenkung des Schutzniveaus der

ABG-Kon-trolle im B2B-Verkehr z.B. Berger NJW 2010, 465ff.; ders. ZIP 2006, 2149ff.; ders. NJW 2001, 2152ff.; Dauner-Lieb/Axer ZIP 2010, 309ff.; Drygala JZ 2012, 983ff.;

Kaufhold BB 2012, 1235ff.; Kessel AnwBl 2012, 293ff.; Kessel/Jüttner BB 2008, 1350ff.;

Lischek/Mahnken ZIP 2006, 158ff.; Kondring BB 2013, 73ff.; Leuschner ZEuP 2017, 335ff.; ders. NJW 2016, 1222ff.; ders. ZIP 2015, 1045ff.; ders. JZ 2010, 875ff.; ders. AcP 207 (2007), 491ff.; Maier-Reimer NJW 2017, 1ff.; Müller NZM 2016, 185ff.; Pfeiffer NJW 2017, 913ff.; ders. ZGS 2004, 401ff.; Schmid-Burgk BB 2018, 1799ff.; mono-graphisch zuletzt Huth (Fn.3), 316ff.; gegen einen Reformbedarf hingegen vgl. etwa

Schäfer BB 2012, 1231ff.; Kaeding BB 2016, 450ff.; von Westphalen BB 2017, 2051ff.;

ders. NZM 2016, 369ff.; ders. ZIP 2015, 1326ff.; ders. ZIP 2015, 1316ff.; ders. BB 2013, 1357ff.; ders. BB 2010, 195ff.; ders. ZIP 2007, 150ff.

77 Nach ständiger Rechtsprechung des BGH bedeutet Aushandeln mehr als bloßes

Verhandeln. Der Verwender müsse vielmehr den gesetzesfremden Kerngehalt seiner AGB inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellen und dem anderen Teil Gestaltungs-freiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumen. Der Vertragspartner müsse also die reale Möglichkeit erhalten, den Inhalt der vorformulierten Vertragsbedingungen sub-stanziell zu beeinflussen; siehe z.B. BGH BeckRS 2018, 14452, Rn.15; BGH BeckRS 2018, 14444, Rn.15; BGH NJW 2018, 2950, 2951f. m. Anm. Bausch; BGH NJW 2018, 2039; BGH BB 2018, 1802, 1803; BGH BB 2018, 1805; BGH NZBau 2016, 213, 215.

78 Siehe z.B. BGH NZM 2014, 830, 833; BGH NJW 2007, 3774, 3775.

79 Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden das AGB-Recht für Verträge

zwischen Unternehmen auf den Prüfstand stellen mit dem Ziel, die Rechtssicherheit für innovative Geschäftsmodelle zu verbessern. Kleine und mittelständische Unterneh-men, die Vertragsbedingungen ihres Vertragspartners aufgrund der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse faktisch akzeptieren müssen, sollen im bisherigen Umfang durch das AGB-Recht geschützt bleiben“ (S.133, Nr.6186–6190); vgl. dazu ausführlich

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Herr-zahlkriteriums steht. Wenn einmal eine Inhaltskontrolle im unternehmeri-schen Geschäftsverkehr – sei es in abgeschwächter Form – anerkannt wird, dann gibt es keinen überzeugenden Grund, die Mehrfachverwendungsabsicht des Verwenders als Tatbestandsmerkmal zu verlangen.

Als Zwischenfazit ist festzustellen, dass dem Vielzahlkriterium keine ma-terielle Bedeutung innewohnt. Wie dann dieses Merkmal in die Begriffsbil-dung der AGB eingeflossen ist, lässt sich mit den Zeiten erklären, in denen die AGB-Problematik erst virulent wurde und die rechtspolitische Diskus-sion darüber begann. Bekanntlich sind AGB ein Kind der Industriellen Re-volution des 19. Jahrhunderts. Mit der Industriellen ReRe-volution und der damit einhergehenden Serienproduktion begann die Verwendung vorformulierter Geschäftsbedingungen sich massenhaft auszuweiten. Dem heute gängigen AGB-Begriff liegt gerade dieses Massenphänomen zugrunde. Beim Vielzah-lerfordernis handelt es sich daher um ein deskriptiv-empirisches Tatbestand-merkmal, oder, mit den Worten von Lieb ausgedrückt, um „ein rein

beobach-tend gewonnenes Tatbestandmerkmal ohne spezielle Aussagekraft“80.

Aller-dings hat sich inzwischen in der AGB-Welt einiges geändert. In Umsetzung des Art. 3 Klauselrichtlinie erstreckt § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB die Inhaltskon-trolle in Verbraucherverträgen auf Einmalbedingungen. Auch in anderen Be-reichen wird nicht auf Massen-AGB abgestellt: Wie bereits ausgeführt, ist z.B. schon der einmalige Gebrauch ausreichend, solange die Absicht besteht, die Bedingungen nur dreimal zu verwenden. Insofern ist es Zeit, den von den Massengeschäften geprägten AGB-Begriff zu aktualisieren und zu modifi-zieren.

VI. Relevanz des Vielzahlkriteriums im Rahmen der Rechtfertigungsansätze der Inhaltskontrolle

Seit jeher ist der Schutzzweck der Inhaltskontrolle umstritten. Darüber werden die noch heute im Wandel begriffenen Auffassungen vertreten81.

Ne-ben den monokausalen Ansätzen gibt es weitere Bemühungen, die eine In-haltskontrolle mit einem Zusammenspiel verschiedener Schutzgründe recht-fertigen. Hier ist nicht der Ort, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Viel-mehr wird im Folgenden nur auf die Frage eingegangen, ob und inwieweit das

mann/Lasch DRiZ 2018, 218ff.; von Westphalen ZIP 2018, 1101ff.; Müller BB Die erste Seite 2018, Nr 26; Höche WM 2018, 497, 501.

80 Lieb AcP 178 (1978), 196, 202 Fn.18; vgl. auch Miethaner (Fn.48), 82.

81 Zu den verschiedenen Begründungsversuchen ausführlich statt vieler Hellwege

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Benzer Belgeler

In den heutigen Sprachen gibt es eine Spur für langen Vokal auch im Karagassischen.. Weder Clauson noch DTS erwähnen unter eš

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