PROBLEME DES TURKISCHEN ARBEITSRECHTS(*)
Prof. Dr. Nuri ÇELİK Vorbemerkung
In meinem Vor:trag werden Fragen des Arıbeitsrechts behan-delt, die den Zust~d vor der Machtüıbernahme
durch das Militar am 12. Septemıber 1980 widerspiegeln. Im
Momerıt befinıdet sich die Türkei im· Überg1
ang zu einer vollen demokratischen Ordnung, die spate.stenıs im · Frühjahr 1984 erreicht sein dürfte. Die
im
Vortragstext aufgeführten Diskussionı3punık.te dienen zrur
Vorbe-reitung der arbeitısrechtlichen Gesetzesanderungen.
I - ÜBERBLıICK UND GESCHICHTL ,
ICHER HINTERGRUND
Von der Grüntlunıg des Osmanischen Reiches
(1299) bis zur sog. «Tanzimat» - Zeit (1839) wurde die Tütrkei v:0n den Grund-satızen des Islamı3
bestimmt. Leitgedanke der «Tan~imaıt» - Zedt war die Errichtunıg eines Rechtsıstaats
westlichen Stils. Aufgrund von Meinun.g:sverschieden:beiten
wurden einetrseits nach dem Vorlbild westlicher Lander, andererneitı.s unter dem Einfluss des islamischen Rechts. Gesetze edassen. Nach dem I. Werttkıieg
und dem dıalflauffolgenden türkischen
Unaıbhang~gkeits'kırieg wurde im Jahre 1923 die Tüıfldsche Republi!k ausgerufen.
Als . eines deren wichtigster Grund!sa tze kann der Laiz:ismus
gelten, der, weltanschaulich gesehen, · die Tütkei westlich
beeinf1usste. Seit dieser Zeit wurden wie auf allen Gebieten insg.esamt auch auf rechtlichem Geme.t bedeutsame
Reformen durchgeführt
1 in deren Verlauf v•iele moderne, nach europaischem
(*) Vorttag, geıhalten am 17. Se:pıtemıber .19Be ·im lnıstitut
tür Wirtschafts- und
Arbei'~srecht der Univerısitöt Erlangen.
Muster au::gearbeitete Gesetze erlassen wuroen. Hinsichtlich des bürgerlichen Rechts wurıden das Schwetzerische Zivilgesetzhuch und ObligaibLonenrecht übernommen; beide tmten im Jahre 1926 als Türkisches Zivilg-esetz'buch bz,w. TüTık•isches ObHgationenge-setzbuch in Kraft1.
Das erıste nach der Grundung der Republik erlas'Sene arıbeits rechtliche Geset:z, welches auch heute noch teilwei'Se in Gel-tung ist, war cbs Gesetz von 1924 über den wöchentlichen Feier-tag. Im zehnten Titeı des von der Schweiz übernommenen Türki-schen Obliıga tionengesetz:buches wird der Dien13tvertrag geregelt
(Art. 313-355). Diese Bestimmungen aber wurden aı·s nioht zwecik-massiıg betrachtet, da dieses Gesetzbuch auf der Vertragsıfrei heit baı~ıiert und eine weitgehend liberale Struktur aufweist. Info1gedes:sen enschien es als enorderlich, ein das gesı9.mte Arbeits-leben umfassendes und spater ein dem Etaıtismus, einem Grund-prinzip der Republik. entsprechendes Arbeitsgesetz zu erJassen. So wurde im J1a.hre 1936 das erste Arıbeitsgesetz
verabschie-det. Da dieses Ge1.setz in der Zeit des Etatismus entstanden war, hatte es einen autoritaren Charaıkter; es diente vor allem der Wahrunıg der allgffilleinen . Interessen. Aus diesem Grund versuchte der Staat einer:seits, eüıen A:rtbeitsfrieden zwischen Arbeitern und Arıbeügelbern herzusıtellen unıd demenrtsprechencte· Regelungen zu treffen, andererseits, um einen Kla13senkampif zu v~rmeiden, der als schadlich für die Entwic~lung des Landes an-ge'Sehen wurde, bei der Lösunıg der kclle(kt,iven Arbeitsstreitig;keiten einzugreifen:'.!. Infolgedeıssen wurden Strnik unıd Aussperrung veııboten. Nach dem Gesetz wurden die kfüper licıhe Arbeit leistenden Arbeitnehmer als Arbe:·iter eingestuft und dieıs1em Arbeitsg0setz unterstellt, wogegen clie Arbeitnehmer, die geistige Arbeit leisteten, al!s Anıg,esteııte ein:gustuft und dem Obligationen-geseıtzıbuch untersteUt wurden.
In den darauffolgenden Jahren nahm der Eingriff des
Sta.ates in das wirtschaftliche und soziale Leben zu, welcher auch hn Be:reich deı3 Rechts erfolgte. So verhinderıte im Jahre
{1} Als umfla'ssende Obers,ich't dazu E. Hirsch, Die Einflüsse und Wirkungen auslaendi's1chen Rechts aut das heuNge tür'l<ische Recht, ZeHsohrift für das ·
Geıs:amte Handelsrecht und Konkursrecht. 1'fö. Baınd 19'54, S. 201-2'l8 . . (2) TBMM Zaıbıt Cerideıs,i (Protdk10Me der Groıssen Nationalversammlung) 1:73,
3.6.1936, c. 1, s. 49.
1938 das Vereinsgesetz durch das Verbot von Klassenvereinen
die Bıildung von Gewerkschaften.
Nach de,m II. Weltkrieg tra:t die Türkei den · Vereinten Na.tionen und der Internationıalen
Arbeitsorgarusation (IAO) bei. Die Bemühungen, einen . deımokratischen Sta~t zu schaffen,
füh:rıten zum Erlass von Gesetzen, die eine
demoıkratische Grund-haltung und soziale Gerechtigıkeit widerspiegeln. Im Jahre
1946
wurde das Gesetz über füe Gründung und Fun!ktion des
Arlbeitsmi-nisterıiums aufgestellt. F_
emer wurde die im Vereinsgesetz von ·1938 enthalıtene Bestimmung, die die Bildung von
Klassenve-reinen untersıagte,
aufgeho!ben. Hiemüt wurde es ermöglicht, im Jahre 1947 das erste Gesetz über Gewerkschaften und
Arıbeit
geberverbande, im Jahre 1950 das Gesetz üıber Aııbeitsgerichte,
im Jahre 1952 das Pressearbeit·sgeseıtz und im Jahre
1954 das Seearbeitsgesetz zu erlassen.
ı "
Nach der Revolution vom 27. Mai 1960 enıtstand im Jahre 1961 die neue türtlcische Verfassung, die auf vielen Gebieten Re-formen herbeiführte, so das RecJ:ıt, Gewerkschaften und
Art>eit-geberverbanıd.e zu bilden (Art. 46), T
13Tifvertrage abzuschliessen
und Streiks durchzıuführen
(Art. 4 7). Aufgrund dieser Rechte wurden im Jahre 19-63 das neue Gesetız (Nr.
274) über Gewerk-schanen und Aribeitgeıberverfuande
und da'S Gesetz (Nr. 275),
üıber
Tarifvertrag, Streik und Russperrung in Kraft ge-s.etzt. Inzwischen wurden aucıh Vorarbeiten 'für neue, zeitge-masse Arıbeitsgesetze geleistet. Im Ja~hre
1967 wurden zuerst das
neue Seear~beitsg-esetz
und nachher das Arbeitsgesetz erlassen. Da13 Pressearbeitsgesetz war schon gleich ıiıach der Revolution durch das Gesetz Nr. 212 geandert wortıen, wodurch die Recht-stHunıg der Journıalisten
dem Fortschritt angepasst wurde. Das Arbeitsgesetz .von 1967 wurde nach dreijahriger Anwendung
vom Verfassungsgerichtsihof infolge einer Anfechtun:gsklage aus formellen und verfahrenısrechtlichen Gründen aufgeho!ben
3 • Ein neues Ar'beitsgesetzbuch trat 1971 in. Kraft, welches abgesehen von c'inigen Anderungen eine W:iederaufnahme des Gesetzes von
1967 dıaTstellt.
(3) Enıtscheidung de's Verfaısıs;ungsgerichtshofes
vom .1.4.'5.1970, E. 1967/40', K. 1970/26, RG ('.Resmi Gazeıte - A:mtsblatt}
n
.5.1~)7;1, 13833.II - PROBLıEME DES INDIVIDUALARBEITSRECHTES 1. Der beschriinkte Geltungsbereich des
Arbeitsgesetzes
Bei den Vorarlbelten für das Arlbeitsıgeıseıtz ·von 19-67
wurde im Eıntwurf des Ges.etızeszwecıkes fesrtgelegt, dass geistige Arbeit leist,ende Arıbeitnehmer nicht. ıanger un ter den Geltungsberni.ch des den derızeitiıgen sozia1en Verhfütnissen nicht ınehr
entspre-chenıden ObUgıa.tionengeset'zfbucheıs . fallen sollten. Kurz von
der Verabsdıiedung deıs Ar\beitsg~3etızes wurden aber die vom Gesetz a/Usgenommenen Arlbeitnehmer vermehrt, so dass die getroff
ene Regelung dem Gesetızeszwecik nicht mehr entsprach. Nach
dieser Regeiung, die auch in das ıieue Arbeitsgesetz übernommen
wur-de,, unterliegen in der Regel die Arbeiıtnehmer, die
au,Bıerhalb des Geltungsıbereiches dei.s Seearbeıitsgesetzes und des Pressearbeiıts gesetzes ble.iben dem · Arbeıitsgesetz. Jedoch hat das Arbeitsge-setz unter dem Titel «Ausnahmen» m.anche Arbeitnehmer aufierhalb des Gese:tzes belassen, Hierunter fallen insbesondere: in der Landwirtıschart tatd.ge Arbeiter, in g.ewerblichen Betrieiben
ı:rtit nicht mehr aıls drei Aribeitern eingesteUte Arbeite
·r und manche Hausmeister wie vor allem jene, die nicht in
zentraı:. g·eheizten Hau:sern arıbeiten. Da für die in der Landwirtschaft tatigen Ar:bedter ein Sontlergesetz, das .sog. :Uandar'beitsgeısertz, vorge:sehen ist, kann man dıiese. Regelun~ verstehen. Jedoch wur-de dieser Entwurf
vom
Parlament ibisher leider nichtvexabısc!hie
dert. ·Der Zustand der aus dem Arbeitsıgeset'.z Ausgeschlossenen ist· aiber in keiner weise zu :rechtfertigen. Das neue Arbeirtsgesetz haıt diese Arbeiter auch in der . Frage des Mintlestloh.ns in
eine schlechte Lage versetzt. Wahrend dai3 Arıbeitsgesetzbuch
von 1967
den Mi.ndestlohn für ane Arıbeitnehmer festlegte, · ıasst
das neue Arbeitsgesetz. dieses Recht nur für die von den Arıbeitsge
·se:tzen betroffenen Arbeiter gelten. Die aus den Aıibeitsgesetz.en
ausge-schlossenen Arbeiıtnehmer sollten entweder in dıas A!4beitsgesetz aufgenommen oder ihnen durch eirie Gesetzesanderung
wen:ig-stens der Mindestlohn zuerlkannt werden. Denn. nach Art. 45 der Verfassung .Üıblieıgt eıs dem Staat, einer angemessenen
und ge-rechten E,nıtıohnung aller Aııbeirtenden, die diesen eine der men-sc::q.lichen Würde entsprechende Existenrı sichert, Sorge
zu tra-gen.
2. Ungenügender Kündigungsschutz
~ach den Arbeitsgesetzen unıd auch dem Obligationenıgesetz..
buch können die auf unbestimmte Zeit eingeıgıang·enen Arıbeits
verhaltnisse durch ordenrtliche Kündigun:g beendet weı;-:cten. Die
Parteien brauchen den Kündi1gungısıgrund nicht zıu nennen. Der
kündigende Teil hat nur eine sich nach der Da uer der
Betriebs-zugehöri:gıkeit verıanıgernde Künd.igungı.sfrist einzu'hıaılten. Diesc
Regeln geıten auch für Massenen:tlasısunıgen, aibgesehen von einer
Anzeigepflicht des Arbei·tgebers gegenüber dem
Arbeitsvermitt-Iungsıamt. Diese Regel beruht auf dem liberalen Geıdanken, nach
welchem für die Vertragsparteien .die MögJichkeit bes.tefh.en soll,
sich durch Kündigung einseitiıg von der Vertragsbindung lösen
zu können. Wie in den Geısetızen der· weistlichen Lan(J.er schon
langst eingeführt, . darf die Kündigung aber nicht in beliebiger
Form zulasısirg sein, sondern mq.ss versıchiedenen, besonders die
Arbeitgeıberseite betreffenden Beschrankunıg.en unrterlie,gen.
Der-artige ausreichende Voraussebzungen unıd zeitgemasse Beısch
rankun:gen für die Kündigung fehlen aiber in der Tıürl{ei. Im
geltenden türlkischen Recht ist bei Misslbrauch des Künrligunıgs
rechts ledigılich die Zahlung einer Aıbfindung vorgesehen (Arıbeits::..
gesetız, Art. 13/C, Seearbeıitsgesetz, Art. 16/4,
Gewerkschaifts-ı
gesetız Nr. 274, Art. 19/3). In diesen Fallen ist die Beweisle.st vom Arbeitınehmer zu tragen. Ein Anspruch auf Weiıte:rlbeschaf
tigung wirrld nur für den betrieblichen Gewerkscihaftsvert.reter
anerkannt ıaewerl.kschaftsgesetz Nr. 274, Art. 20/4) .
. Weil durch diese Regelung A:rıbeit.nehmer jederzeit geküntligt
werden können, fühlen sich diese seit Jahren unsicher. Sowohl
waTen d1e Bestıreıbun:gen der Gewerlkscharften ohne Erfolg als
auch konnıte brs heute durch Tarifıvertrage kein
Künrligun.gs-schutz für Aroeitnehmer bewilikt werden.
Es mü,Bte künfıtig eine gesetzliche N euregelung bezügUcih
de·s Kündigunıgsschubzes vorgenommen Arlbeitıgeber unter be-eine ordentliche Kündtgung durch den Arbeitge'ber unter
bes-stimmten. sozial gerechtfertigten Vorau~tzunıgen wirksam
wer-den könnte.
A uch die Beweiısla:st soHte vom Arıbeitgeber zu tragen sein. 457
Ferncr .so1lte für den Arbeitnehmer die Möglichkeit auf Weiter-beschaftigung bestehen1
•
III - PROBLEME DES KOLLEKTIVEN ARBEITSRECHTS
1. Probleme über das Recht der K oalitionen
a) Probleme der individuellen Koalitionsfreiheit bei der Bildung von KO':ılitionen
aa) Ge.setzlkhe Grundsat1ze
Artikel 1 des Gesetzes Nr. 274 lautet, da,B zur Wahrung und Förderun:g der gemeinsamen wirtscha:ftlichen, sozialen und kul-tureHen Interessen der Arbeitnehmer oder A:r;beitgefber
Koalitio-nen gebildet werden können (Aibs. 1). Ferner beinhalrtet derselbe Artikel den GrunJdısatz der freien Bildunıg von Koalitionen (Abs_
2). Da.i:ı. Gesetz enthalt auch Bestimmungen über die Gegnerunab-hangigikeit und Gegnerfreiheit der Koali tionen (Art. ı 7) . Die d.emokrntische Grundlage der Koalitionen ist 1a'1s ein wichtiges
Element nicht im Gesetz enthalten, a:ber doch in der Verfassung mit Drittwirkung (Art. 46, A:bs. 2). Jedoch gehört nach den ge-.setz1ichen Regelungen die · KoaHtionsmachtigikeit und die
Über-betrieblichikeit nicht zu den Begriff selementen der Koa.Jitionen, (4) Um die kündigungsschutzrnchtlichen Bestimmungen auszurar:beHen, wurde
458
vem türkiıschen Arbe1i'tsminiıster.ium im Jahre 1978 eine · Kemmissior geib'ildet.
Der 1 von dıieser Kommission verbereHeote aber nicht alıs Gese·tz vemb-schiedete En~wurf entıhaelt ae·hnliche Grundprıinzipieın wie· das deutsche
Kündi·gung1s·sohutge·seıtz. Für dieısbe.züglıic:he Entwicklungen und Ouellen sieıhe M. Ekonomi, fa Güvencesinde Son Gelişmeler ve Çalışma Bakanlığı
Va1sa Tıa1slağı (Die letzten Entwicklunıge_n über den Kündi·gunıg1s:schutz und der Enıtwuırf des Arbeit;şmini'steriums), TÜTİS ile Deniz Ulaş-1İş Federasyo-nu tar.afrndıan 1979 da düze1nlenen <<1İşci-lİşveren İlıiş1kilerinde Ge1lişmeler Se-mineri» y.ayını (Vem ArbeHer Föderatıion Deniz-Ulaş im Jahre 1979 gemeinsam veranıstaHeteıs Seminer über «Die Entwiclklungen· der Verhaeltnisıse zwiscıhen Ar.be·rtnehmer und Arbeiıtgeben>) S. i20 ff; N. Ceiik, işoinin Feshe Karşı
l~orunması (Kündigung·sscl)utz de:s Arb·eıitnehmers), Reşat Kaynıar'q armağan (Fe·st'schrift tür R. Kaynar). İfİTİA Sı'iyasal Bil·imler Fakültesi yayını (Veröf.· fentlichung der Faku!tae:t für po!i:tisıche W.isısenısıchafte·n der iiTıilA), lstan:bu! 198:1, s. 43 ff.
.obwohl im türkischen Recht immer das Erfordemis ven
mach-tigen Gewerkschaften betont wird.
Infolge der freiwilligen Bildung der Koalitionen entsteht
auch ein Koalitionsplurahı~mus. In demsefüen Inıdrustriezweig
sind mehrere Gewerks'Cfıaften möglich, die gemasıs den
verschie-denen Weltanschauungen der Arbeitnehmer zur Gründung
gelangen. Es könnte· aher hinsichtlicıh -des Einflusse:s der Gewe:rk
-schaft:e'n von groEısem Nutzıen sein, wenn die Arbeitnehmer
einheitlic:he Gewerkschaften bHden. Ein gutes. Beispiel dafür ist
heute das Besteht:n der deutschen Gewerkschaften. Die
deut:sch-en Einheitgsg1ewe.rık'schaften beruhen auf der Grundlaıge der
'V.'.eltanschaulichen und parteipolitischen Neutralitat. Das sollte
vielleicht auch für :anıdere Lanıder wie für die Türkei ein Ziel sein, welche:s a;JJer in der Praxis kaum zu erreichen sein dürfte.
Jedoch könnte in jedem Land die Zahl der Gewerkschaften er-miissigt werden, um mac:htigere Gewerkscıhaften zu scıhaffon.
S.ofern dies gelange, könnte unter den verschiedenen
Gewerk-scha.fıten eine Kon1kurrenz entstehenı die deren Tatigkeiten
moti-vierte.
bb) Die Lage der Gewer!kschaften in der Praxis
Die Z:ahl der Gewerkschaftsmitglieder hıat sich ab 1963 durch
ciie GesBtze Nr. 274 unld 275 in kurzer Zeit erhebHch erhöht, da
die Gewerkschaften die wirtschaftlichen Interes2.en Hrner Mitglie-d:er durch denı Abschlu/3 von Tarifvertragen mit Hilfe des
Streikrechts gefördert harben. Auf der anderen Seite hat 12tch
a.ber auch dic Anzahl der Gewerkschaften erhöht. Wahrrnd die
Anzahl der Gewerkscha.ften im Jahre 1963 bei 565 und jene der
Gewerkschaftmitglieder bei 300.000 lag, el'ıhöhte sie sich bis 1969 aut 799 Gewerik~chaften mit üiber einer MiUion Mitgliedernı:>.
\
Gemass der letzten Veröffentlichung des Arbeitsministeriums
betragt die Anzahl der Gewerkschaften 75on. Diese Zahlen zeigen
einersoitı2- den Aufschwung, ·amdererseits aber auch die Zersplit-terung der organisiertep Arbeiterbewegunıg .. Auch bei den Spit-zenve.rba:nden konnte die gleiche Tendenz feıstgestellt werden. S.o
(5) :Arbeitszeitschrift des Ar:beitsminrsteriums, Ja.hrganıg 19·74, Band 1, S. 170.. (6} IR;G 17.9.1980 17'100; R'G 18.9.1980, 17109 unıd 7,,12.:1-98'0, 17!183.
· entstand dunfö Albspaltung von der seit Jahren für die
Arbeit-nehmer als e'iıınigem Spitzenıveııband beste:henden Konföderation
der Türkischen Gewerikschafıten (Türk-İş) im Jahre 1967 ein
zweiter Verıbanld, die sog. Re,volutionare Türlkische Arıbeiter-Ge
werk:sc:hafts konföderaıtion (DİSK), in den folgencten Jahr~n
wur-den noch. sechs derartige Konföderationen gegründet.
Die Zertsplitterung der Gewerikschaften verhimlerte in der
Türıkei die Gründung eines machtigen Gewerikschaftswesens.
Aus dieseın Grunde konn:te der Artikel 47 der Verfassung,
wekher die Wahrung und · Förderung der wixtschafıtıichen und
sozia1en Verhaltnisse der A~beitnehmer g,egenülber den
Aribeitge-bern durch den Albschluss von Tarifvertragen bezweckt, nicht
verwiiikH:cht werden. Die Bildung eines machtigen Gewerkıschafts
wesens ist vor allem eine Aufgaibe der Aribeitnehmer und
Ge-weıikschaftsführer. Jedoch könnte der Gesetzgeber diese
Bestre-bungen unterstützen, indem er rechtliche Massnahmen trifft, .
welche gegen die Be.stimmunıgen der Verfas.sung nicht versto,Ben.
cc) Rechtliche Ma,Bnahmen für ein machtigeres
Gewerlki2cha.ftswesen ·
A uch im türıkischen Rec:ht sind die Ar:beitnehmer und
Ar!beit-geber nach dem Inıdustrie- und Wirtschaftzweig, in dem sie
beschaftigt sind, koalier:t (Industrieverbandsystem). Diesıbezüg
liche Regelung·en sindin Artikel 9 des Gesetzes Nr. 274 enthalten.
N ach diesem Artiikel wird die FestisteHung der Industrie'.zweig.e
einer vom Arbeit1sministerium zu er~assenden
Ausführungsver-orıdnung überlassen. In der Türıkei gföt es z. Zıt. 33
In!drustrie-zweige. Vergleicht man diese zahl mit der Anzalhl der deutsclhen
Industrie1zweige, so erscheint die Zahl von 33 für die Tü~ei aıı,s
bei weiıtem zu gross. Denn je höher die zahl der Indusıtrl.ezweige
wird, desto geringer wird für einen In!du:strie·zweig die Zahl der
Gewerikschaftsmitglieder. Dei E:ntwicklung und Sıtarke · ein.er
Gewerksehaft hangt vor all€m von der GröjSe des Industriezweiges
bzw. der Anızıahl der Arıbeitnehmer alb. Deshallb muss die Zahl ·
·der Inrluıs.t:viezweige .verringert werden. Sollte dies verwirlklicht
werden können, so verringerte sich höchstwahrscheinlich auch
die Anzahl der Gewerkschafıten. Unseres Erachtens so11ten
lich demnach eımge Industriezweige zusammengeschlossen wer-den, wie z.B. Bergbau (Industriezweig Nr. 3) und Energie (Nr.
20), Nahrungsmittel - (Nr. 5) unıd Zucker (Nr. 6) - Industrie;
Erdöl - (Nr. 3) mit Gummi - (Nr. 12) mit chemischer (Nr.
13) Industrie; Steine und Erden (Nr. 14) und Glasindustrie (Nr. 15);
Metallinıdustrie {Nr. 16) und Schiffsıbau
(Nr. 17). Somit könnte.
die heutige · Zahl der Industriıezweige ohne gros:se Schwierigkeiten·
von 33 auf 20 verrinıge:rıt werden.
Da
solche Regelungendıie
Grundordnung des Geweffischaft.swesen betreffen, sollten sie
nıicht in Form vı.on Au:sführungsverordnungen des
Arıbeitsminis
teriums, daıs von parteipolitischen Richtungen beeinflusst wird,
sondem in Form eines Gesetzes erlassen werden. Die ausführlıiche
Beschreibung der Tat~gkeiıten der einızelnen Industrieızweige
könnten in einer vom Ministerrat erlassenen Verordnung erıfol
gen.
·b)I Abzug der Miıtgliedslbeitrage durcih den Avbeitgelber
Na'Ch dem Gesetz Nr. 274 werden die Gewer!kschaftsbeitrage auf ıSC!hriftliche Anforıderung einer Gewerkschaft,
di~ wenigstens
1/4 der gesamten Arıbeitnehmer eines Betriebes vertritt, durch
den· Arbütgeber vom Lohn albgezogen: Diese
VerpMchtung betrifft
nicıhıt nur die normalen laufenden Mitglie(füfbeitrage, sondern
auch
Sonıde:rlbeitrage, dıie !aut Satızung der Gewerkscha.ft von denMitıgUedern an die Gewer1kıschaıft zu bezaıhlen
sintl. Auch die sog.
Solidari.tatsıbeitrage, welche au,senseiter ~gunsten
der
Gewerk-schaft ıeisten sollen, sinıd durch den Arbeiıtıgeiber abzuziehen
(Art. 23/2, Abs. 1). Femer ist der A!'\beitgıeber verpflichtet,
nöti-genfaUs die von der Gewerlkscıhaft zu bezıahlenden Beitrage
einzulbehalten und an die Vertban!de· aibzufüh:r:en (Art. 23/2, Abs.
2). Auoh tarifıverıtragliclııe Aibretlen zur Ausdehnung der
abiıgen
Beıstimmungen sind im · tü:rıkisıcilıen Recht zugelasısen.
Die
gesetz-lichen Re1gelungen diehen
. der finanızi~ll'en Förderung und damit
der Starıkunıg der Gewe:rlkschaften. In vielen westlichen Landern
wie den Vereinig1ten Staaten, England
und Italien wird dies ·
ahnlich gehand!haJbt. .
Die gesetzliche Zula·ssigkeit des Beitraıgsabzruges durch den
Aroeitgeföer ist in der Türkei voo Ap;flaıng an kriti1sierıt wortien.
Es wird an:geführt, dass durch diese Regelung dic Beziehungen
zwischen der Gewerkschaft und ihren Mitgliedern gesdıwacht
und auch dem Arbeitgeıber eine unzumutJbare Verpflichtung
Ü!bertragen wird. Ferner wird a:ls weiteres Argument angefüıhrt,
daft diese Regelung auch die Zahl der Gewerkschaften erhöht haibe'. Weil die A useinan!dersetzungen um diese Fmge einen so grossen Umfang annahmen, mussten wir auch die in der
Bun-desrepublik Deutschhmd stattgefundenen rechtlichen Diı.skussio
nen, die sich zwar nur um tarifliche Abreden handeln, im
tür-kischen Recht berüclksichtigen8
• Unter anderem wurde die von
deutschen Autoren angeführte wichtigste Kritik, nach welcher
die Gegnerunabhangig!keit weg,en des Abzuges beentrachtigt
werde, von uns abgelehnt. Wir sind nach langjahriger Praxis
und dem von Biedenikopf · angeführten Argumenrt9 zu dem
Ergelb-nis gekommen, dass weder die tarifliChen Aibreden noch die
gesetzlichen Be13timmung·en über die Beitmgsabzüge die
Unab-hanglgkeit der Gewerkschaften geführden. Es muss trotzdem
zugegeben werden, dass die gesetzliche Regelung über den
bej-tragsabzunıg durch den Arbei'igeber sehr umfangreich ist und · üibeı
die Absicht des Gese.tzgebers sel'bst hinauı3geht. Obwohl diesE
Regelung als einer der wichtigsten Bau&teine für die Entwic!k'lun:g
eines sta,rken Gewerkschaftswesens anızusehen ist, dürfen die
die13lbezüglichen Kritilken nicht · garrz beiseite gesch~ben und diE
Rege1ungen nur irrı notwendigen Masse getroffen werden. Sc
muss vor ~llem die Forderung der ein Viertel der g'esamten
Arıbeitnehmer eines Betriebes ver.tretenden Gewer'kschaft, wonach
Beitrage durch den Arbeitıgeber für die Gewerkschaft aıbzuzieher.
sind, abgescihafft werden. Eine solche Müıglichikeit könnte nur
für eine Gewerkschaft, welche die tarifliche Zustandi1gıkett besitzt,
aner.kannt werden. Ferner sollen die oiben genannten Sonder-beitrage der Mitglieder und die den Spitzenver.banden von der
(7) C. Talas, 274 saıyılı Sendikalar K'Onununda Yapılan Değişi'kJ.iikler M.O. Prodük-tivite Kurumunca 9-'13.12.1970'de Yalova'da yapı.lan seminer konuşması r(vortrog über die Abaenderungen des Gese,tzes Nr. 274, ge1halten im
Se-miner von Yalova, 9-13.1.1970, herausgeg.eben von M.O. Prodüktivite Kuru-mu) lstanıbul 1971, S. 37; M. Kutat, o.g. Seminar, S. 228-'229: ·
(8) N. Çelik, 11/1, S. 268 (1. Auflage, lstanbul, 1976, S. 248-249) ..
(9) K.H. Biedenkopf, Grenzen der Ta·rifıautonomie, Karı:sruhe, 1964, S. 261. Siehe auoh für OueHen zu dieser Diskuss'ion S. 26!0 Fn. 1613-'165; Feroor Wiede-mann-Stumpf, Ta·rifv-e·rtrogısgese·tz. 5. Auflıa9e, München 1977, Einl. Rnr. 175;
Daeublıer-Hege, Tari'fve·rtrag1sre-cht, Baden Baden 1978. S. 145 ff.
Gewe:r.kschaft rnt'Zungsmassig
verpflichteten Beitrage nicht mehr durch den Arbeitgeiber abıgezogen
werden, weil diese dem Arbeit-rreber keinesfalls .
zumutibar erscheint und auch über die Absicht des Gesetzgebers hinausgeht;
2. Probleme des Ta:rifvertrags- und Arbeitskampfrechts
a) Problem bei der Festsetzung der zustandig ,
en
Gewerıkschaf t
Bei der Vorbereitung des Geset:zes üıber Tarifvertrıag, Streik und Aussperrunıg
war die frühere Ansicht auf rechtswis .. sıenschaft licheın
Gebiet vorherr.schend, dass es keine Lücken gabe, wenn
das Gesetz alle Falle erschöpfend
·erfıa'Ssen könnte. Aber diese
linsicht hat sich mit der Zeit als unhalföar erwiesen.
Bei dem Gesetz ist dies .beısonders
deutlich zum Ausdruck gekommen, da dieses Geset1
z ohne irgendeine vorherige Praxis und im Zuge einer Reform cntsta.nden ist. In manchen
Fal1en beschrankt oder beseitigt sogar, s:ofern es keine Lücken gibt, die gesetz:liche Re-g1elung ganzlich das richterliche Erımessen. wodurch di'e
Weiter-entwicklung des
Rechts durch den Richtcr und damit eine An-: passung an die Entwicklung verhindert wird. Die daraus entste-henden Probleme sind nur auf dem Wege der Gesetzgelbung zu lösen. Eln typisches Be'ispiel dafür bilden die Bestimmungen über die Lösung von Rechtstreitigkeiten
bezüg'lich der t1aırif rechtlichen Zuıstandiglkeit. Darü
ıber gfüt es im Gesetz ausführliche Reg·elungen, d:ie dem Ricter ikaum einen
Ermessenıssprielraum belassen (Art. 7, 9, 11, 12). So fordert das Gesetz bei der Fest'Set~ zung der zustandigen Ge\verkschaft,
dass sie die Mehrheit in
dem betreffenıden Betrieb oıder
Industriezweig reprasen~iere, je nachdem, oıb es sich um einen Tarifvertrag hande1't,
der .. einen einz.elnen Betrieb. od er einen gan~en
Industriezweig betrifft. Bei der F·eststeillung. der MehDheit wird die Zahl der Mitglieder,
die konlkurrierenden Gewerkschaften
angehören, berüciksichtigt, und
· dcshafü werden diesibezüglich die Bestimmungen
des Gewerk~
schaftsgesetzes a:ı""lgewendet.
Obwohl alles theoretisch güt durch-dacht erscheint, wird jedoch öfterıs wegen Falschungen
.der Mitgliedschaftısunterlagen
und Unterschrif.ten das ganze Systeın in der P:raxis lahmgelegt. Der Arbeit:sıbehörde und in zweit>~r
Instanz dem Arbeitsgericht dbliegt es, die
Gewerk-schaft zu bestimmen, wobei sie jedocih nur die Aufgaıbe haiben, die Mitgliederzahı nach den Mi tgliedsıschaftsunıterlagen innerhalb drei oder .sechs Arıbeitstagen festzustellen. Sie kön:nen jedoch die Falschungen der Unterlıagen und Uhterschriften nicht überprü-f en. Dies ist vielmehr die A:ufıg~be des Gerichtes im normalen
Verf ahren, welches a:ber viel Zeit in Anspruch nimmt und desha1'b in . derı Praxis ohne grosı.sen Nut'zen i1st. Infolgedessen
ha:ben die ·zustandigen Behörden in den oben erwahnten Fallen
zur Lösun:g der Rechtsstreitiıgkeiten ein Abstimmungsverfahren, das sog. Reforıe:nJdum eingesetzt. Nachdem der 9. S·enat des Kassa-tionshofeiS g.eg1ensatzliche Entscheidunıgen getroffen hat, hat der
Groısse ZiivHsenat entschieden, dasıs dıas Verfaıhren für die Lösung
die8er Frruge in den Gesetzen über den Tarifvertrag und:
ansch.lfo-sısend über Gewerkschafrten vorzusehen ist, dass eıs keine Geseıt
zeıslüdke gebe und der Richter nicht . mittels einer Arbstimmung
entscheiden könne. Au,Betdeın wird in derselben Entıscheidung
hinızugefügt, dıaıss, wenn · die A:bstimmunıg aJk~eptierıt \verden
soHte, ein Arbei:tnehmer, der nach dem Gewe:rikscha.ft'Sgesetz einer
Geweıikıschaf t anıgegliedert ist, audı für eine andere stimmen
kann. Dies ist alber mit den MitgHedschaitsgrunk:lısatz:en des Geweiikschaftsgeset'zes nicht zu
vereinlbaren?-0• Unserer Meinung
nach entspricht zwar die Entscheidung des Grossen Zivi'1senateıs den gelitenden Rechtsgrunctısatzenrı, Iöst aber die bestehentlen Probleme nidht. Zur Lösung dieser Probleme ist einıe Gesetzeıs
anderunıg, welche eine Bestimmung über die Aföstimmung im
Notf!aU einführt; unvermeidiq.ar12• Daneıben wird auch die Anısicht (10) Yarg. HGK, 24.12.~19715, E. 1975/9~754 K. 1691.
('111) zıı.st,immeınd K. Oğuzman, Anal·yıse dier Rechspreıohung, IHU (lin de·r Arıbe+t
sre'Chıt:ı:ircıhen Praxis·) 19715, l'SGL!K 111 (Nr. 111'); Kutaı~Ekon0ımi; Türk Erıdüstrri
İN~kHerıi Sli'stemıin:in Ya~mı Ce-rceveıs'i .ve Başlıca Sorunlıarı (iGesetzHche·r
:Rıaıhmen und ·Hauıptprooleme des Türkiıs;chen l1n'duıstrie ... 'Beziefıunıgs-Systeımeıs),
Uluslararaısı Deneylerin l1şığında Tür:k1iye'deki Endüstri İllş'kiler'i, l'srtanlbul
1977, S. .123; Ablehne1nd K. Tunçomağ, 1R'eferranldum ve Yaırgıtıay K
1ararlan
(IReıferen:ctu'm und Entıs:cheıiduıngen deıs Ko1sıs·ati1onislhofe'S), iİısıtanbul Baroısru Der-gisi (Zeıiıtschrliıft der Re·chıtısanıwaııts!kommer .ıstanbul) 1975, S. 700, 809-8'10;
S. Relsoğlu, Topl1u ıiş Söı!leşımeısıi Grev ve Lokaıvtt Ka:nunıu Şerhi
(Kommentar
zum Geısetz ülber T·o·rıifvıer'trag, Strei1k und Auıssprunıg1), 2. Aufla-ge, A,nlkbra
:1975, s. 259.
(12) Zus·timmend T. Dereli, Toplu iış Sözleşmeleri Yetki lJyuşmaztı:kitarındıa Son
Gelrişmeler ('Cflie letzten IEnıtWi1cklunıgıen zur Lösung von Zuıs·tıaendiıglkei.tsstrei
tigkeıiıten be·zügl. deıs Tari!fvertrıaıge1s) SellJik ve İ:dare Dergis:i (Ze:itsohrift
f:Qr Le1tung uınd Verwoltu·ng) 1975, S. 17 ff.
vertreten, das heutige System,· welches nur auf
MitgHedsunterla-gen beruht, könne durch eine Geset-zesanıderun.g verbessert
wer-den13.
b) Prdbleme de3 Arbeitskampfrechts
aa) Die Pari.tat von Stre& und A u:ssperrung ·
Die Verfasısung gewahrt den Arıbeitnehmern ein Strei!krecht
(Art. 47, Abs. 1). Obwohl in der Verfassunıg keine ausdrücikliche ·
Bestimmung üzer das Aussperrungsr:echt vorliegt, bestimmt die
V~rfassung jedoch, dası3 die Rechte der Ar!beitgeıber g,eset.zlich zu
rıegeln .sinıd (Art .. 47, Abs, 2). Die:se unterschiedİiche Lage von
Arbeitnehmern unıd Arbeitgebem wurde in der Begründung. des
Verfassungsen twurf es so gerechtf ertigt, daıss das Auıssperrungs
recht linter dem Vorbehaılt seiner Besonderhıeiten eiben:so wie
das Streikrecht geset;zlic'h geregelt werden. sollte und kein Grund
vorlage, da13 Aussperrungsrec'ht als Menschenrecht in der
Ver-fassung · zu garanti eren wie es a uch in den Verfassungen.
ande-rer Uinder ülblich ist1·4
• So wurde nicht nur S.treiik, scındern auch
Aussperrung ausführlich gesetızlich gere:gelt. In dem Gesetz sind
die~e beiden. Kampfmitıtel einander gleichgesteUt und es wurde
einıe f:ormelle Pariıtat gesıch'afif1en.
Die diesbeızüıglichen Regelungen der Verfassung und des
Gesetz€:s waren von Anf ang an heftig umstritt.en. Es wurde sagar
gegen di1e gesetzliche Regelunıg
des Aussperrungsrechtes eine
Anfechtungs:klage beim Verfaı2sungsgerichtshof erhoıben, die
jedoch 1albg.ewiesen wurde. Der
Gerichtsıhof hat mit dem Hinweis
auf Art. 47, Aibs. 2 der V.erfassung und seiner Begründung die
gesetzliche Anerlkennung des Aussperrungsrechtes als nicht
ver-(13) K. oauzman, Türkiye'de Toplu . Sözle'şıme Düzeni (Die tarifvertraıgl'iche
Ordnung in der Türke·i) lstanbul 1973, S. 5ı4, 60; K. Atasayar, Refeırahdum
Yetki Teısıbit,inıde Çözüm Yolu De,ğildir (!Referendum i:st kelne Lösung be;i
der Fe1stısıteMung der Zust,aendi-gkeıit), İş,veren Dergi·sıi (Zer~s1
ohrift <«Arbe,iıt
geben>) 1975, S. 5; E. inoe,. Analy;s:e der 'Rechrs:sıprnchunıg, llHIU 197'5, T1SıG1LıK
11, No. 2.
(1'4) S. Belger, Türkiye Cumhuriyeti A:naıyas1a1sı (Die Verf;a·sısunıg der Türık'ischen
RepubHk), Ankara .19711, S. 1ı4l5.
fassun~gı3Widriıg erkUirt15 • Obwohl diese Auffassıung des
Verfas-su~g-sıg.erichtshofe~ vıon der herrıschenden Lehre nichıt kritisiert
wurde, soll aıber eine ernste Disk:ussion de Iege f erenda nicht unt1
er-lassen werden16
• Irnsbesondere ·.sollte ınan auf die Frage eingehen, ob
die gesetzliche Regelung, die Strei.k und Aussperrung gleıchstellt.
bestehen bleiiben sollt:e oder nicht. Das Gesetz beacıhtet nicht den
Unterschied 1zwischen der formellen und der ınat1erieilen
Kampf-paritat11. Nach dem Geset1Z iıst niıch nıur eine unbegrenzte
Abwehr-aussperrunıg g1egen den Anıgriffssrtreik rechtlich zulassig,
son-dern 'auch diıe An:griifsıaussperrrung im gleichen Masse wie
Angriffs:srtreiik, oıbwohl sie praktisch kaum vorkommt. Wir
vertre-ten schon seit Jıahren ·in Anlehnun:g an die fransözische und
italieniısche Lehre und Praxii:s18 die Ansicht, da'Ss eine parallele
und gleiche Behanıdlung von Streik und Aussperrung nicht
g.er·echt ist, da von einer Identita .. t zwischen diesen Kampfmitteln
wegen der unterschiedlichen wirtschaftlichen. und sozialen Lage
der Kampfgegner, besonıders für die Türkei, nicht gesprochen
werıden k.ann. Deshalıb soll unS'erer Meinung n:ach dıa.'s Ausı.:::per
nıriıgsrecht wohl nicht ganzlich auf.gehoben, aber doch beschran!kt
werden19
• Die Beschral).kung soll vor allem für die Aussperrungen
(1!5) Ents·oheidung de1s Verfosısung!Sıgeri1chtshofes vom 19-e0.10.1967, E. 1963/337,
K. 196713 (\R'G. 2.5.1969, 13188).
(16) Für dieselbe Ansichten scho·n vor der Entschek!ung siehe K. Oğuzman,
Grev ve Lokavt (Streik und Aussperrung), 2. Aufla·ge, lstanbul 1967, S. 149
. ff.; D. Uluca.n, Strnik unıd Aussperrung in der Türke1i, Diss. Köln 1971, S. 1!511
ff.: Di·e En~scheidung befürwortend Reisoğlu, S. 286, aıblehnend Tanör, S.
346 ff.
(17) Dazu H. Seltıer, Stre·iıkreıcht · und Aussperrungısrecht, Tübinıg.en 1975, S. 160
ff. un!d dıort ongegebene L!iterntur, bes1onders zur Kri1Nk der. formellen
Kampfporit'aet W. Zöllner, Aus1sıperrung unıd arbeitskampfreohıUiche ParHaet,
Düss.eldorf 1974, s. 28 ff.
('1·8) P. Durand, Streiik und Ausısıperrung na1ch französls·chem R1echt, in: S1trei'k
. und Ausspe·rrung ven G. Boldt - P. Horion - A. K1ayser - L. Mengoni - A.N ..
ıMolenıa-ar, herauıSıgegebe·n von der E'G tür K1ohıle und Sta:hl, Luxemburg 1961,
S. 2131 ff.; L. Mengonl, Sıtrei1k unıd Auısısperrung na·ch itaı·i·eniıs'<::lhem Recht,
im Streıi'k unıd Auısspeırrung o.o.O., S. 307 ff.
f19) N. Oelik, İş· Hukuıkıu Dersleri rArbeitsrec:ht), 4. AuHag·e, lsıtan:bul 1979 S:
438-4139; Naoh Elk·onomi s.ei ober eine· sol1cıhe Beıschrıaenkung mit den
Grundp-rinzip·ien der Ve-rfarssung nicht .vereinbar. S'iehe M. Ekonomi, KampfpGr:i-tae1t
im Arbe'itsre·cht, in: Rec:ht und Arbeitskampf, hrsıg. von M. Ekonomi unıd M.
Rehbinıder, Sohriften zum schwe:iz~ıri1schen Arbe;i:tsrecht, Bem 1980, S. .1G2.
gelten, die von eine.m Arbeitgeberver:band für eine Gruppe seiner
Mitgliedıer verfügt w~rden. Wix
meinen damit nicht die ganze
A'bschaffung der Verb~ndsaussperrunıg, ·sondern nur eine
gesetz-liche Begrenzunıg einer solchen'.2<>.
·
bb) Arbeitskampfmöglichkeit zur Beilegung · von
Rechtsstreitigkeiten
Der Arbeitskampf dient normalerweise nicht der Lösung
eines Rechtssıtrei.ts ·sondern eines Regelungı2:streits. Der türlkische
Geset:zgeıber aılmr hat den Arıbeitskampf
auch zur Beilegung von
Rechtsstreitigkeiten aner~mnnt.
Nach dem Gesetz Nr. 275 kann
eine Partei des Tarifvertra:ges das Arbeitısikampfrecht benützen>
wenn seine arus dem Ge2et:z oder aus dem Vertrag ent.standenen
Rechte von der anderen Part.ei verletızt werden (Art. 19, Abs. 2).
· Jedoch ist den Parteien der Weg zur Beilegung von
Rechtstreitig-keiten vor Gericht zu gehen, nicht verschlossen. Die Möglichkeit
eines Arbeitskampfs ist den Parteien nur als eine Alternative
zuer.kannt und ·zwar, mit der B~grünıdung, das der normale
Weg zur Rechtsdurchset:zung beim Gericht mei:itens. lange Zeit
in Anspruch nehme·21
• Tatsachlich ist diese Regelun.g in der
Praxis aıls eine Saniktion zur sofortiıgen
Anwendung aller,
insibe-sondere tarifvertraglicher R~chtssatze
erschienen, obwohl sie in .
der. Theorie sıcharf' kritisiert wurde2
·2• Wenn daı.s
Arbeitsgerichts-. gesetz geandert und damit die arıbeitsrechtlichen
Prozesse
beschleuntg.t werden könntetı,
könnte auch die Regelung des
Gesetzes a ufg.ehoıben werden.
IV - SCHLU ,8BE1\/lERKUNG
Im aUgemeinen hangt die Entwicklung des türkischen
Ar-(20) Çelik, a.a.O; Ekonomi versteht unsere Me'inung anders und kommt zu dıem
ıErgebniıs, dass wirı die Verbandaussperrun
•g ganz abschaffen wollten
(a.a.0.); Die gese•tzliohe Be·greınzunıg könnt.e var aHen zahlenmaesıs
.i·g se·in
wie es in der BRD im UrteH des BIAG aLiıs dem Jahr 19180 der Fall ist.
(21) tEingehend C. Tuncay, Erscheıiınungısıf.ormen unıd Recht:smaessıigıkeit des
Ar-bei·tsıkampfeıs, i·n: Recht unıd Arbei1sk·ampf, S. 38-39 und dort ange:ge·
bene Li-te-ratur.
(2ı2) K. Oğuzman, Huıkuki Yönden işçi-İşveren İlişk:ileri
(Die rechtHchen ArbeHneıh
mer- und Arbeitgeıberverh:aeltniısse), Band ı,
.
g..
Aufla.ge, lsta·nbul 1978, S. 147.
beitsrecıht'S nicht von der industriellen :E::nrtwicklrung des Lande:s
wb, sondern wird be1.mnders seit der Grünıdung der türkischen
Rc;publiık durcıh die nıa:eh europaischıem Mu.ster ·ausgearbeiteten
Reformgesetze in die Weıge geleitet. Weil die Kodirfilkationen auf
aem
Gehiet des Intdividualarbeitsrechts bis zur Zeit vor dem I.We1't;krieg zurüc!kgehen, sind au.f diesem Geıbiet durch ıangjahri
ge Praxis unld dementısprechenıde Geset:z:esanıderunıgen wenige
Probleme enıtstanıden. Daıgegen steHt daıs kollektive Arıbeitsrecht
ein neues uınd dynamisches Rechtsgelbiet dar. Infolgedess.en giibt
es viele. Probleme und üıber ibre Lösungen gehen die Ansichten
mei·~Jtens auseinander.· Auch die allgemeinen Probleme, die aus
dem wirtschaftlichen, sozialen unJd politil:;chen Aufbau des L1a
n-des erwachsen, üıbeın Einfluss auf das Sysrtem des koUektiven
Arbeitsrechts.· Aus diesem Grunde ist eine Entwicklung des
kollektiven A:rıbeiıtsrechts durch die nur dieı.:es Gt:~1et
betreffen-dcri Gesetze nicht zu erwarten. Jedoch ist es unıumganglich,
rechtliche Massnahmen zur Lösung der Hauptprobleme des kol:..
lektiv,en Arıbeit'Srechts zu ergreifen. Daıbei !köınnte man auch die
den türkischen Verhaltnissen ent.sprechenden Erf1ahrungen
ande-rer Lander berück:sicht~g,en.