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Die Turkei als regionale wirtschaftsmacht

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Academic year: 2021

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Von Bahri Yilmaz

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts befiirchtete man in Ankara, da8 das Land seine bisherige ,,klassische Rolle" als Verteidiger der Siidflanke der NATO verlieren, am Rande eines ,,vereinten Europa" stehen und die seit dem Zweiten Weltkrieg miihsam gekniipften Beziehungen mit dem Westen nicht mehr aufrechterhalten konnen wiirde. Aber die Entwicklungen in der ehemaligen Sowjetunion und auf dem Balkan sowie im Nahen Osten haben die Bedeutung der Tiirkei in der neuen Weltordnung eher verstarkt als geschwiicht.1 Sie wurde als eine mogliche Regionalmacht aufgewertet und dadurch erneut in den Blickpunkt der Weltoffentlich-keit geriickt und mu8- unerwartet und unvorbereitet-in kiirzester Zeit wieder in eine Rolle hineinwachsen, die ihr schon beim Niedergang des Osmanischen Reiches im Jahre 1918 zufiel: als Regionalmacht die auf einem PulverfaB sitzenden Regionen mitzugestalten.

Um aber in diese Rolle hineinzuwachsen und dieser gerecht zu werden, diirfen nicht nur politische Uberlegungen im Vordergrund stehen. Wesentlich ist eine solide und gut organisierte wirtschaftliche Basis. Bekanntlich sind heutzutage in den internatio-nalen Beziehungen die wirtschaftlichen und auBen- bzw. sicherheitspolitischen Interessen eng miteinander verbunden und konnen nicht getrennt voneinander gesehen werden. Dies bedeutet, daB die Tiirkei eventuell dann die Fiihrungsrolle in der Region beanspruchen kann, wenn sie wirtschaftlich gestarkt ist und wenn die Grundvoraussetzungen fiir eine effizientere Marktwirtschaft und wirkliche Integra-tion in die europiiische bzw. die Weltwirtschaft erreicht sind.

SCHWERPUNKTE TURKISCHER AUSSENWIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN Mit dem Niedergang des Ostblocks erhohten sich fiir die Tiirkei die Schwerpunkte der AuBenwirtschaftsbeziehungen auf insgesamt fiinf Wirtschaftszonen: 1. die Beziehungen zu den OECD-Liindern und der Europiiischen Union; 2. der Schwarzmeer-Kooperationsrat; 3. die Organisation fiir Wirtschaftliche Zusammenar-beit (ECO); 4. die wirtschaftliche ZusammenarZusammenar-beit mit nah- und mittelostlichen islamischen Liindern sowie 5. die Beziehungen zu den zentralasiatischen Staaten.

Die Beziehungen zu den OECD-Liindem und zur Europiiischen Union Seit 1950 spielten die OECD-Liinder und spiiter auch die EG-Staaten fiir die tiirkische Wirtschaft eine dominante Rolle und gehoren nach wie vor zu ihren traditionellen Markten. Seit Jahren sind diese Industrieliinder die wichtigsten Handelspartner der Tiirkei. Im Jahr 1992 waren die OECD-Staaten die wichtigsten Abnehmer tiirkischer Waren: 63,5 Prozent der tiirkischen Exporte gingen in diese Lander (zum Vergleich: die EG-Staaten nahmen 51, 7 Prozent des tiirkischen Exports aut).2 Eine genauere Betrachtung der Abnehmerliinder tiirkischer Waren ergibt eine groBe Abhiingigkeit von der Europiiischen Union, die aufgrund des Assoziierungsab-kommens von 1963 zwischen der EG und der Tiirkei seit langem den bedeutendsten

Dr. Bahri YilmaZ, Associate Professor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Bilkent Universitat, Ankara.

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Die Tiirkei als regionale Wirtschaftsmacht

Absatzmarkt darstellt. Mit der Einfiihrung der weltmarktorientierten Wirtschaftspo-litik im Jahr 1980 nahmen die Exporteinnahmen stark zu. Gleichzeitig war diese positive Entwicklung im Verlauf der achtziger Jahre mit einer tiefgreifenden Strukturveranderung im Exportsektor verbunden. Wahrend Nahrungsmittel und landwirtschaftliche Produkte friiher den Schwerpunkt bildeten, liegen heute verarbeitete Waren (Bekleidung gefolgt von Textilien allgemein) an der Spitze der Exporte.3 Auch bei den Importen wird der gr6Bte Teil mit den OECD- und EG-Staaten

mit 67,5 Prozent bzw. 44 Prozent ( 1992) abgewickelt.

Die Beziehungen der Tiirkei zu den OECD-Landern beziehungsweise zur EU bleiben aber nicht nur auf den AuBenhandel begrenzt. Die EG-Staaten leisteten durch ihre Direktinvestitionen einen wesentlichen Beitrag zum IndustrialisierungsprozeB in der Tiirkei. Bis Ende 1992 wurden fast zwei Drittel der Direktinvestitionen in der Tiirkei von Investoren aus den EG-Staaten getatigt. Bevorzugt sind die verarbeitende Industrie mit 53,7 Prozent und der Dienstleistungssektor mit 41,8 Prozent der gesamten Direktinvestitionen.4 Wichtige Investitionslander waren Frankreich

(14,7%), GroBbritannien (12,8 %), die Niederlande (10,2%), die Schweiz (10,1%), die USA (10%), Deutschland (9,9%) und Italien (7,7%). Dariiber hinaus leben und arbeiten mehr als zwei Millionen tiirkische Arbeitnehmer in den EU-Landern. Die Geldiiberweisungen und Investitionen der im Ausland beschaftigten tiirkischen Arbeitnehmer sind seit 1965 ein unverzichtbarer Bestandteil der tiirkischen Wirtschaft: Sie beliefen sich 1992 auf fast drei Milliarden Dollar.

Auch darf nicht iibersehen werden, daB sich der Tourismussektor im Laufe der Zeit zu einer der wichtigsten Deviseneinnahmequellen des Landes entwickelt hat. Die Einnahmen in diesem Bereich, zu dem die Burger aus den EU-Staaten erheblich beigetragen haben, beziffern sich fiir 1992 auf vier Milliarden Dollar. Angesichts dieser engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der Tiirkei und der EU sind die in den EU-Landern bereits etablierten Markte fiir die Tiirkei von groBer Bedeutung.

Der Schwarzmeer-Kooperationsrat

Am 25. Juni 1992 unterzeichneten elf Staats- und Regierungschefs das Griindungs-dokument fiir eine Schwarzmeer-Wirtschaftszone.5 In der 18 Punkte umfassenden ,,Bosporus-Erklarung" vereinbarten die Unterzeichnerstaaten (Tiirkei, RuBland, die Ukraine, Bulgarien, Rumanien, Moldau, Albanien, Griechenland, Georgien, Arme-nien und Aserbaidschan) die Schaffung eines Wirtschaftsraums am Schwarzen Meer, der der Region ,,Frieden, Stabilitat und vor allem Wohlstand bringen solle". Sie beschlossen unter anderem die Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungsver-kehrs sowie die Freiziigigkeit von Kapital und Arbeit, die Schaffung von Rahmenbedingungen fiir eine enge Zusammenarbeit privater Unternehmer, die Griindung einer Schwarzmeer-AuBenhandelsinvestitionsbank sowie die Erleichte-rung des privaten Reiseverkehrs und die Abschaffung von Visabeschrankungen, Zollhemmnissen und Arbeitsgenehmigungen.

Oberstes Gremium der Kooperation ist die Konferenz der AuBenminister, die einmal im Jahr tagen soil. RegelmaBig treffen sich Expertenkommissionen, um die mit der Kooperation zusammenhangenden Probleme zu diskutieren. Im Aufbau orientiert sich die neue Organisation weitgehend an den Strukturen der Europaischen

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Union. Durch den Schwarzmeer-Kooperationsrat wird ein Markt von etwa 400 Millionen Menschen geschaffen. Seitens der tiirkischen Regierung wurde ausdriick-lich betont, daB der Kooperationsrat keine Alternative zur EU darstelle, vielmehr sei er als Ergiinzung anzusehen.

Es ist noch verfriiht, eine klare Analyse und endgtiltige Aussage iiber die Erfolgschancen des Schwarzmeer-Kooperationsrats abzugeben. Die Tiirkei erhofft sich die ErschlieBung neuer Miirkte im Bereich der Konsumgiiter- und Bauindustrie. Der bisherige Anteil der Staaten dieser Region am tiirkischen AuBenhandel lag unter zehn Prozent. Der Erfolg der neuen Kooperation diirfte wesentlich von drei Faktoren abhiingig sein: Der Priisident Georgiens und ehemalige sowjetische Au8enminister, Eduard Schewardnadse, brachte den ersten Faktor treffend zum Ausdruck, indem er formulierte, ,,daB der Erfolg der okonomischen Zusammenarbeit so lange ein Traum bleiben wird, wie die politische Stabilitiit in dieser Region nicht hergestellt und ethnische Konflikte nicht friedlich gelost werden konnen".6 Zweitens kann die fiir

alle Beteiligten nutzbringende wirtschaftliche Kooperation nur dann Erfolg haben, wenn die von den ehemals sozialistischen Liindern beabsichtigte wirtschaftliche und politische Transformation von einer zentralistischen Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft so schnell wie moglich realisiert wird. Damit kann eine wettbewerbs-fiihige und weltmarktorientierte Exportwirtschaft in dieser Region geschaffen werden. SchlieBlich werden die lntegrationsbemiihungen und Erweiterungsabsichten der EU in Richtung Mittelost- und Siidosteuropa den Zusammenhalt und die Geschlossenheit des Schwarzmeer-Kooperationsrats bestimmen. Seine Erfolgschan-cen hiingen in allererster Linie von der kiinftigen Entwicklung der Europiiischen Union ab.

Die Organisation far Wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO)

Schon im Jahr 1964 wurde ein Regionaler Kooperationsrat (RCC) mit der Absicht ins Leben gerufen, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Griindungsliindern Iran, Tiirkei und Pakistan zu erweitern. Die Nachfolgeinstitution Organisation fiir Wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO), die 1985 von den drei Liindern gegriindet wurde, basiert iiberwiegend auf wirtschaftlicher Kooperation. Auf dem ersten ECO-Gipfeltreffen am 16. und 17. Februar 1992 in Teheran wurde die Organisation um Aserbaidschan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgistan und Tadschi-kistan erweitert. Kasachstan hat einen Beobachterstatus. Weder der vorangegangene noch der jetzige Kooperationsrat hat sich bis heute als eine funktionsfahige und erfolgversprechende Organisation profilieren konnen. Die in Aussicht gestellte Kooperation steht bislang nur im Kooperationsvertrag und muB daher noch als Wunschdenken angesehen werden, wobei die Tiir zur Kooperationsbereitschaft offenbleibt. Gemessen am gesamten tiirkischen AuBenhandel von 1992 ist der Anteil lrans mit 3, 1 Prozent sehr niedrig; Pakistans Anteil taucht sogar iiberhaupt nicht in den Statistiken auf.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den nah- und mittelostlichen Landern Seit Jahrzehnten steht der Aufruf zur Griindung eines gemeinsamen islamischen Marktes analog zum Gemeinsamen Markt der EU auf alien Tagesordnungen islamischer Gipfeltreffen. In den AbschluBkommuniques werden die Vorteile einer

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Die Tiirkei als regionale Wirtschaftsmacht

engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der islamischen Lander hervorgehoben; dennoch ist und bleibt der islamische gemeinsame Markt aber nichts anderes als eine reine Absichtserklarung. Die Tiirkei hat ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit den Staaten dieser Region auf bilateraler Basis entwickelt. Nach dem ersten Olschock 1973/74 stiegen die Exporteinnahmen der Tiirkei aus dieser Region beziehungsweise aus den OPEC-Landern. Irak und Saudi-Arabien wurden die wichtigsten Handels-partner der Tiirkei unter den islamischen Landern.

Aufgrund der riicklaufigen Preisentwicklung auf den internationalen Olmarkten, durch den Golf-Krieg von 1991 und das anschlieBend gegen lrak verhangte Wirtschaftsembargo wurde der AuBenhandel der Tiirkei mit diesem Land erheblich belastet. Die okonomischen Verluste wurden von Kuwait und Saudi-Arabien nur teilweise kompensiert. Der Anteil der islamischen Lander am tiirkischen Gesamtex-port stieg von sieben Prozent 1973 auf 20 Prozent 1992. Wegen der politischen Instabilitat und der andauernden militarischen Konflikte in dieser Region konnte bis heute keine zukunftsorientierte Zusammenarbeit erreicht werden.

Die Beziehungen zu den neuen zentralasiatischen Staaten7

Etwa 60 Millionen Menschen in den neuen Turkstaaten Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan sind der Tiirkei durch eine gemeinsame Vergangenheit und Sprache sowie Religion und Kulturgeschichte stark verbunden. ,,Die Tiirken, deren politische und intellektuelle Elite seit Generationen nach Westen schaute, entdecken nun arme alte Verwandte wieder."8 Obwohl die Tiirkei der Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches ist, hat sie iiber einen Zeitraum von 70 Jahren kaum wirtschaftliche und politische Kontakte mit den zentralasiati-schen Landern gehabt, weil mit den Turkvolkern wahrend der Jahrzehnte der kommunistischen Herrschaft keine offiziellen Beziehungen moglich waren.

Drei Griinde sprechen aus tiirkischer Sicht fiir eine enge politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit den Turkvolkern Mittelasiens und Aserbaidschan: 1. Die Vorfahren der heutigen Bewohner der Tiirkei sind im 9. Jahrhundert aus Zentralasieri·"abgewandert. Die Tiirkei fiihlt sich deshalb ethnisch, sprachlich und religios mit den Turkvolkern Mittelasiens eng verbunden. 2. Als erstes Land erkannte die Tiirkei die neuen Staaten in Mittelasien diplomatisch an. Ankara versucht, die mit dem Niedergang der Sowjetunion verlorengegangene strategische Bedeutung an der NATO-Siidflanke auszugleichen und eine neue strategisch-politische Bedeutung von der Adria bis zu den Grenzen Chinas zu gewinnen. 3. Nicht nur die mittelasiatischen Lander, sondern auch die des Schwarzmeer-Raumes und des Balkan bieten fiir die weltmarktorientierte tiirkische Wirtschaft kiinftig neue Dimensionen und wirtschaft-liche Vorteile durch die ErschlieBung der neuen Markte. Vor allem das in Aserbaidschan und demnachst in Kasachstan produzierte Erdol soll gemaf3 der abgeschlossenen Vertrage und Vereinbarungen zwischen Ankara und denjeweiligen Landern durch Rohrleitungen iiber die Tiirkei vermarktet werden. Das in Turkmeni-stan geforderte Erdgas soll durch die Tiirkei nach Europa exportiert werden.

Die neuesten Oaten bestatigen, daf3 die mittelasiatischen Markte zum gegenwartigen Zeitpunkt noch keine besondere Bedeutung fiir die tiirkische Wirtschaft haben. Die Tiirkei bezog 1992 knapp 5,4% ihrer Importe aus den GUS-Landern; der Lowenanteil der Wirtschaftsbeziehungen mit den GUS-Staaten entfallt, wie schon in der

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Vergangenheit, auf Ru8land. Der Anteil der zentralasiatischen Lander betrug nur 0,4%. Die Region ist fiir tiirkische Exporteure bis heute ein vergleichsweise unbedeutender Markt: 1hr Anteil an der gesamten Ausfuhr bezifferte sich 1992 auf 4,7%. Hierfiir sind zwei wichtige Grtinde maBgebend: Zurn einen hat der TransformationsprozeB dort gerade erst begonnen. Die einfachsten Grundelemente der Marktwirtschaft sind noch nicht vorhanden. In den meisten Landero ist die ,,alte Garde" mit einer ,,neuen Garderobe" noch immer an der Macht, und sie bestimmt das politische und wirtschaftliche Geschehen. Die Grundvoraussetzungen fiir die Integration dieser Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft sind noch lange nicht erfiillt. Erst nach einer Verbesserung der Rahmenbedingungen fiir eine effiziente Marktwirtschaft kann mit der Umstrukturierung und Moderoisierung des Produk-tionsapparats begonnen werden.

Zurn andero hangt die Entwicklung des tiirkischen AuBenhandels mit den zentralasiatischen Landero nicht our vom Fortgang des Reformprozesses ab, sondern auch von der Bereitschaft deF tiirkischen und vor allem der interoationalen Finanzinstitute, den Handel und die Investitionen in den Aufbau einer Infrastruktur sowie ein leistungsfiihiges Verkehrs- und Kommunikationssystem <lurch giinstige Kredite und/oder Finanzhilfen zu unterstiitzen. Den mittelasiatischen Landero fehlen Devisen, um ihren TransformationsprozeB eigenstandig durchzufiihren. Ihre Volks-wirtschaften sehen im Augenblick wie ein FaB ohne Boden aus. Die Tiirkei mit ihren bescheidenen Devisenreserven und -einnahmen ware allein einfach iiberfordert. Der AuBenhandel diirfte aber so lange iiber von der Tiirkei finanzierte Kredite und Bartergeschafte laufen, bis die Devisenlage dieser Lander sich verbessert hat.

REGIONALE FUHRUNGSMACHT IM WIRTSCHAFTSBEREICH? Wenn man die mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Interessen der Tiirkei beriicksichtigt, sollte die tiirkische Wirtschaft die seit Jahren existierenden Absatzmiirkte vor allem in den EU-Landero weiter ausbauen und eine Verflechtung anstreben. Dann konnte die seit 1980 verfolgte weltmarktorientierte Wirtschaftspoli-tik der Tiirkei von einem wirtschaftlichen AnschluB an die EU gekront werden. Eine in die EU integrierte Tiirkei diirfte in der Lage sein, sowohl eigene als auch westliche Wirtschaftsinteressen in den oben genannten Wirtschaftszonen zur Geltung zu bringen.

Dieser Weg ist allerdings lang und sehr miihsam und hangt vor allem von drei wesentlichen Faktoren ab. Zurn einen stellt sich die Frage, ob die Tiirkei der ihr zugedachten Rolle als regionale Fiihrungsmacht gerecht werden kann - vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Dies hangt in erster Linie von der Fortsetzung des 1980 in Gang gesetzten und ab 1986 nicht mehr konsequent verfolgten wirtschaftlichen Liberalisierungs- und Sanierungskurses ab. Zurn andero stellen die gegenwartigen Probleme der tiirkischen Wirtschaft - hohe Inflationsraten (70 Prozent), steigende Haushaltsdefizite sowie Inlands- und Auslandsverschuldung, strukturelle und versteckte Arbeitslosigkeit, verzogerte Privatisierung der Staatsbetriebe und Verschlechterung der Einkommensverteilung zuungunsten der Arbeiter und Bauero -eine enorme Belastung fiir die angestrebte regionale Fiihrungsrolle und fiir die Vollmitgliedschaft in der EU dar. Deshalb sollte die Tiirkei zuniichst die Umstrukturierung und Effizienz ihrer eigenen Wirtschaft konsequent vorantreiben.

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Die TUrkei als regionale Wirtschaftsmacht

Solange dies nicht geschieht und die Tiirkei das eigene Haus nicht in Ordnung bringt, diirften die hochgesteckten politischen und wirtschaftlichen Ziele verfehlt werden.

Aber gleichzeitig mu8 Ankara seinen Au8enhandel mit den Industrieliindero wie schon im letzten Jahrzehnt weiter ausbauen und neue Miirkte erschlie8en. Um auch von der Offnung anderer Miirkte auBerhalb der EU zu profitieren, sollten die wirtschaftlich verantwortlichen Behorden in der Tiirkei die Exportdiversifizierung verstiirkt vorantreiben. Eine erfolgreiche Exportsubstitutionspolitik auf Jangfristiger Basis und ein reibungsloser Ubergang von einer iiberwiegend arbeitsintensiven Industriegilterproduktion zu einer technisch hochwertigen Konsum- und Investitions-gilterproduktion konnen erst realisiert werden, wenn der Verbesserung der produktions- und produkttechnischen Wettbewerbsfiihigkeit Prioritat eingeraumt wird. Dies erfordert nicht nur eine Verstiirkung des Technologietransfers im Rahmen der Direktinvestitionen aus den Industriestaaten, sondero auch die Moderoisierung des Bildungswesens und der Infrastruktur in der Tilrkei.

Des weiteren sollte die Vollmitgliedschaft der Tilrkei in der EU nicht nur als vollendeter AnschluB an den einfluBreichsten Wirtschaftsclub der Erde angesehen, sondero auch als historischer AbschluB des tiber 150 Jahre andaueroden und mit der Grtindung der Republik forcierten ,,Prozesses der Annaherung an den Westen" betrachtet werden. Trotz des vor allem wegen wirtschaftlicher Bedenken negativen Bescheids der Europaischen Kommission tiber den von der Tilrkei am 14. April 1987 in Brussel gestellten Antrag aufEG-Mitgliedschaft genieBen die Beziehungen zur EU in Ankara nach wie vor erste Prioritat.9 Die Ttirkei nutzt gegenwiirtig vor allem die

Moglichkeit, zuerst ihre wirtschaftliche Integration in die EU durch die vertraglich bereits vorgesehene Zollunion zu realisieren. Nach dem ,,Ankara-Abkommen" von 1963 und gemaB dem ,,Zusatzprotokoll" von 1973 wird die Tilrkei ab 1. Januar 1996 in die europaische Zollunion eintreten.

Dies bedeutet, da8 die Tilrkei ihre tarifiiren und nichttarifiiren Handelshemmnisse abschaffen, ihre Miirkte gegenilber Drittlandern weitgehend offnen und dabei die gemeinsa~en Au8enzolle tiberoehmen wird, mit der Folge, daB die tilrkische Wirtschaft enormem Wettbewerbsdruck ausgesetzt werden wird. Die seit Jahrzehnten aufgrund der fortgesetzten Importsubstitionspolitik geschiltzten inliindischen Firmen werden in Zukunft mit ausliindischen Unteroehmen konkurrieren milssen. Eine partielle Eingliederung der tilrkischen Wirtschaft in die EU durch die Zoll union dilrfte naturgema8 im Innero radikale Strukturveranderungen und Anpassungsschwierigkei-ten verursachen. Viele der vom Weltmarkt abgeschotteAnpassungsschwierigkei-ten und ilberwiegend binnenmarktorientierten Industriezweige sind weitgehend vor dem interoationalen Wettbewerb geschiltzt. Demnach wird die neue wirtschaftspolitische Orientierung sicherlich auf heftigen Widerstand der Industrie sowie der in erster Linie durch staatliche Auftrage begilnstigten Unteroehmen und Gewerkschaften stoBen. Somit dilrfte auch der Ruf nach Protektionismus und der Vorwurf des Verrats der national en wirtschaftlichen lnteressen immer lauter werden.

Die mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft entstandenen Miirkte in den Balkan-Landero sowie in Mittelasien und im Transkaukasus konnen die schon erschlossenen und etablierten Absatzmiirkte in den EU-Landero und in den restlichen lndustriestaaten auf absehbare Zeit nicht ersetzen, sie erganzen sie

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vielmehr. Vielleicht kann sich in Zukunft eine duale Produktionspalette entwickeln: Bei einer Arbeitsteilung wiirde sich ein Tei! der tiirkischen Wirtschaft auf die Bediirfnisse der auBerhalb der EU und der OECD gelegenen Volkswirtschaften konzentrieren, in Bereichen wie z. B. Nahrungsmittel, Textilien und Bekleidung; der andere Tei! der Produktion ware mehr auf die Nachfrage der Industrielander nach kapital- und forschungsintensiveren Erzeugnissen ausgerichtet. Der Schwarzmeer-Kooperationsrat und die Organisation fiir Wirtschaftliche Zusammenarbeit (ECO) sind zum gegenwartigen Zeitpunkt jedenfalls keine ernsthafte Alternative zu den bestehenden Markten der hochentwickelten Industriestaaten.

Der Tiirkei stehen eine harte Bewahrungsprobe und schwierige Zeiten bevor. Wenn die tiirkische Regierung den Widerstanden in lndustrie und Gewerkschaften nicht nachgibt und bereit ist, die mit der europaischen Zollunion entstehenden wirtschaft-lichen und sozialen Kosten in Kauf zu nehmen, und es ihr gelingt, die Bevolkerung davon zu iiberzeugen, daB die auBenwirtschaftliche Offnung der einzige Weg ist, eine stabile Wirtschaft aufzubauen, dann steht der kiinftigen Ubernahme einer wirtschaft-lichen Fiihrungsrolle in der Region durch die Tiirkei nichts mehr im Wege.

ANMERKUNGEN 1 Vgl. hierzu auch Ali L. Karaosmanoglu, Die

neue regionale Rolle der Ttirkei, in: EA, I 5/1993, S. 425-434.

2 V gl. Undersecretariat of Treasury and Foreign

Trade - HDTM (Hrsg.), Main Economic Indica-tors, Mai 1993, S. 58-62.

3 V gl. Bahri Yilmaz, Structure of Specialization and International Competitiveness of Turkey and in Comparison with New Entrants, Greece, Spain and the EC. Ankara (Bilkent Universitat, Discussion Paper Nr. 92/3), Marz 1992.

4 V gl. The Turkish Economy (TU SIAD), Istan-bul, Juli 1992, S. 181-186.

5 Vgl. EA, 21/1992, S. D 616~18.

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6 Franlifurter Allgemeine Zeitung (FAZ),

26.6.1992.

7 Ausftihrlicher vgl. Yilmaz, Die Wirtschaftsbe-ziehungen der Ttirkei zu den Nachfolgestaaten der Sowjetunion: Stand und Perspektiven, Eben-hausen (SWP-AP 2785), Marz 1993.

8 Vgl.DerSpiegel, 12.2.1992,S.137.

9 Commission of the European Communities, The Turkish Economy: Structure and Developments. Commission Opinion, Point 7 and 8.1., Brussel, 18.12.1989, und FAZ, 20.12.1989.

Referanslar

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